Aller Desinformation zum Trotz: Es gibt eine Alternative zu den Bomben

Jeder Krieg, den der Westen in den letzten Jahren führte (der Golfkrieg 1991, die Balkankriege und jetzt der Krieg in Südasien), war von einer ausgeklügelten Propaganda-Kampagne begleitet. Nachrichtendienste und Medien betreiben Desinformation, verbreiten Falschmeldungen, übertreiben die Stärke des Gegners, nutzen täuschende Fernsehbilder und zensieren. Mit dieser Art der Berichterstattung, die alles vereinfacht und auf eine ermüdende Unverständlichkeit reduziert, soll die Bevölkerung in die Irre geführt und entwaffnet werden. Die Botschaft ist einfach: Es gibt keine Alternative.

Seit zehn Tagen wird Afghanistan bombardiert, und mittlerweile hat das Pentagon zugeben müssen, dass einige Bomben und Raketen auch Zivilpersonen trafen. Bisher haben die Angriffe zweihundert unbeteiligte AfghanInnen getötet, weitere sterben, wenn weiter Bomben fallen. In der Ruhe vor dem Krieg hat US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld öffentlich darüber nachgedacht, ob Afghanistan überhaupt Einrichtungen und Vermögenswerte besitze, «die es wert sind, bombardiert zu werden». Er kannte die Antwort. Tatsache ist, dass die angloamerikanischen Bombenangriffe einen klaren Verstoss gegen die Genfer Konvention darstellen. «Um Schonung und Schutz der Zivilbevölkerung und ziviler Objekte zu gewährleisten, unterscheiden die am Konflikt beteiligten Parteien jederzeit zwischen zivilen Objekten und militärischen Zielen; sie dürfen daher ihre Kriegshandlungen nur gegen militärische Ziele richten», heisst es in Artikel 48 der Konvention. Auch Artikel 51 verbietet unterschiedslose Angriffe. Als unterschiedslos gilt «ein Angriff, bei dem damit zu rechnen ist, dass er durch Verluste an Menschenleben unter der Zivilbevölkerung, die Verwundung von Zivilpersonen, die Beschädigung ziviler Objekte oder mehrere derartige Folgen zusammen verursacht, die in keinem Verhältnis zum erwarteten konkreten und unmittelbaren militärischen Vorteil stehen».

Gab es eine Alternative zu den Bombenangriffen? Wenn es nicht Absicht war, einen Rachefeldzug zu führen, sondern den Terrorismus zu schwächen und auszuschalten und die Verantwortlichen für die Verbrechen vom 11. September vor Gericht zu stellen, lautet die Antwort: Ja. Wenn die US-Gerichtsbarkeit von der Stichhaltigkeit ihrer Beweise gegen Usama Bin Laden überzeugt gewesen wäre, hätten ein internationaler Haftbefehl ausgestellt und Pläne zu seiner Festnahme erarbeitet werden können. Man hätte beispielweise von Israels geduldiger Suche nach und Ergreifung und Verurteilung von Adolf Eichmann lernen können, dem weitaus grössere Verbrechen zur Last gelegt wurden. Aber US-Präsident George W. Bush und der britische Premierminister Tony Blair griffen lieber zu einer Mixtur aus Wildwest und Altem Testament, um allen rechtlichen Ermittlungen zuvorzukommen. Sie setzen auf Lynchjustiz und werden darin von einem Pöbel bestärkt, dem die üblichen Schreckensmeldungen vorgesetzt wurden. Heute Milzbrand, morgen atomare Aktenkoffer.

Die Bombardierungen ergeben nur dann und wirklich nur dann einen Sinn, wenn sie altmodischen imperialistischen Zielen dienen: Sturz des Taliban-Regimes und Einsetzung eines Protektorats, das «westlichen Werten» näher stehen soll (wie einst die Taliban). Gleichzeitig gibt es immer noch keine Nachrichten über den Vorwand für diesen Krieg. Wo ist Usama Bin Laden? Bildet seine Ergreifung den zweiten Teil der Operation? Und sollte er gefasst werden – wird er getötet oder vor Gericht gestellt? Und wird (falls dieses geschieht) das Unternehmen den Terrorismus weniger attraktiv machen, ihn gar besiegen? Ich glaube, das genaue Gegenteil wird eintreten, besonders in der arabischen und muslimischen Welt.

Weder Bush noch Blair scheinen begriffen zu haben, dass Bin Laden in vielen Teilen der Dritten Welt mittlerweile zu einer Art Held geworden ist. Junge, akademisch gebildete Mittelschichtler in Saudi-Arabien, Ägypten und im Maghreb werden dafür sorgen, dass sein «Märtyrertum» nicht umsonst war. Bush aber erklärte erst letzte Woche vor JournalistInnen: «Wie ich reagieren würde, wenn ich sähe, dass in einigen islamischen Ländern Amerika gehasst wird? Ich wäre erstaunt. Ich kann das nicht glauben, weil ich weiss, wie gut wir sind.» Sein militärischer Bündnispartner Blair hat eine andere Lösung: «Es wird mir immer klarer, dass wir unsere Medien- und Öffentlichkeitsoperationen in der arabischen und muslimischen Welt verstärken müssen.»

Diese Schlichtheit ist furchterregend. Die Mandarine in den Aussenministerien kennen natürlich die Realitäten. Sie wissen, dass die mittelfristige Lösung politisch und ökonomisch sein muss, nicht militärisch. Solange den PalästinenserInnen kein lebensfähiger unabhängiger Staat gerantiert wird, gibt es keinen Frieden. Arafat mag ja mit geschrumpften Bantustans von Israels Gnaden zufrieden sein, die palästinensische Bevölkerung ist es nicht. Die neue Intifada ist auch eine Revolte gegen das Abkommen von Oslo und die Korruption der palästinensischen Führung.

Und dann ist da der Irak. Keines der Standardargumente für die andauernden Bombardierungen und Sanktionen hat Bestand. Auch die Behauptung, Saddam Hussein habe einzigartige Gräueltaten begangen, trifft hier nicht. Die türkischen Generäle, hoch geschätzte Nato-Partner, haben im letzten Jahrzehnt 30 000 KurdInnen umgebracht. Und Saudi-Arabien tut noch nicht mal so, als interessiere es sich für Menschenrechte, seine Behandlung der Frauen wäre nicht einmal im mittelalterlichen Russland durchgegangen.

Diese Doppelmoral treibt junge Menschen in die Verzweiflung. Hier bietet sich eine sofortige Lösung an: Die Aufhebung der Sanktionen und ein dauerhaftes Ende der Bombardierung des Irak hätte positive Auswirkungen in der ganzen islamischen Welt und würde die Zahl jener jungen Männer reduzieren, die ihr Leben für das opfern, was sie als heilige Sache betrachten. Es wäre schon ein kleiner Schritt voran, wenn sich ein paar unserer politischen Führer für Vernunft aussprechen würden.