Biodiversitätsinitiative: Beunruhigende Tendenzen
Das deutliche Nein zeigt einmal mehr: Die Bürgerlichen haben sich aus der Umweltpolitik verabschiedet. Jene Kreise, die beim Bauen keine Rücksicht nehmen wollen, haben Aufwind.
Mit 63 Prozent Nein ist die Biodiversitätsinitiative klar gescheitert. Die Behauptung der Gegner:innen, es handle sich um eine «extreme» Vorlage, fand bei vielen Gehör. Dabei war die Initiative sehr allgemein formuliert und betonte vor allem Grundsätze, die auf Gesetzesebene bereits festgehalten sind. Initiativen mit deutlich konkreteren Schutzzielen, die Rothenthurm- und die Alpeninitiative, fanden in den achtziger und neunziger Jahren Mehrheiten.
Doch jene bürgerlichen Bundesparlamentarier:innen, die sich bis vor wenigen Jahren dezidiert für Natur- und Landschaftsschutz, Raumplanung und gute Baukultur einsetzten, sind im Ruhestand. In der FDP fanden Politiker:innen wie Erika Forster und Kurt Fluri keine Nachfolger:innen. Und die Mitte-Partei ist unter dem Powerplay der Walliser um Beat Rieder und von Bauernverbandspräsident Markus Ritter umweltpolitisch komplett nach rechts gekippt.
Der umweltpolitische Backlash hat auch eine internationale Dimension: Gleich nach dem Angriff Wladimir Putins auf die Ukraine brachten sich im Frühling 2022 die konventionellen Bauernverbände Europas in Stellung. Mit einer einfachen Botschaft: Es ist jetzt nötig, möglichst viel zu produzieren; Umweltschutz und Biodiversitätsförderung sind ein Luxus, den wir uns nicht mehr leisten können. Auch in der Schweiz verfängt diese Rhetorik. Die jahrzehntelang fast verschwundene Angst vor Knappheit ist wieder da.
Ausgeblendet wird in dieser Argumentation, dass «möglichst viel produzieren» keine Sicherheit bringt: Die Landwirtschaft ist heute wie alle anderen Branchen von externen Inputs abhängig, die importiert werden müssen – von Treibstoff, Kunstdünger und Chemikalien. Verdrängt wird auch, dass eine Landwirtschaft, wie sie diese Kreise wollen, ihre eigenen Grundlagen zerstört. Ohne Biodiversität gibt es keine Ernährungssicherheit.
Doch den Umweltverbänden gelang es zu wenig, das deutlich zu machen. Dabei stand ihnen wohl auch die eigene Geschichte im Weg, die geprägt ist von einem Naturschutz, der Schützen und Nutzen trennt und dem auch ökologisch wirtschaftende Bäuer:innen distanziert gegenüberstehen. Linke und Umweltorganisationen haben in den agrarpolitischen Diskussionen der letzten Jahre viel über Schmetterlinge und Hecken geredet, aber kaum über die Frage: Wo kommen die Kalorien her?
Der Bauernverband führte einen populistischen, irreführenden Abstimmungskampf, aber in einem Punkt hatte er recht: Wenn die Kalorienproduktion in der Schweiz abnimmt und sich sonst nichts ändert, also einfach mehr importiert wird, ist kein einziges Problem gelöst. Allerdings müsste die Kalorienproduktion bei einer klug umgesetzten Ökologisierung gar nicht abnehmen.
Landwirtschaftsfragen dominierten den Abstimmungskampf. Die Biodiversitätsinitiative wollte aber auch die gute Baukultur stärken. Das Nein steht für eine beunruhigende Tendenz: Jene Kreise, die Bauprojekte rücksichtslos durchdrücken wollen – Energieanlagen, Häuser ausserhalb der Bauzone oder Neubauten auf Kosten geschützter Gebäude – haben Aufwind. Sie wollen das Verbandsbeschwerderecht der Umweltverbände abschaffen, das einzig den Zweck hat, dass geltende Gesetze eingehalten werden. Die «Aargauer Zeitung» dokumentierte diese Woche, wie ein FDPler, eine SVPlerin und eine Mitte-Politikerin im Lenzburger Einwohner:innenrat gemeinsam Martin Killias attackierten. Killias ist SP-Mitglied, Präsident des Schweizer Heimatschutzes und ebenfalls in diesem Rat – und er hatte sich gegen ein problematisches Bauvorhaben in der Altstadt gewehrt. Die drei warfen Killias «Verhinderungspolitik» vor und zielten auf die Person ab. Dabei ging es um das Bundesinventar der geschützten Ortsbilder, ein demokratisch legitimiertes Instrument. Eine Lokalgeschichte, natürlich – aber ein weiteres kleines Beispiel, in welche Richtung sich die Bürgerlichen entwickeln.
Biodiversität ist schön und tut gut. Flüsse, die noch frei fliessen oder renaturiert sind, ziehen viele Menschen an, genauso wie diverse Kulturlandschaften, Pärke und Wälder. In gehetzten Zeiten, in denen psychische Krankheiten zunehmen, wäre es wichtig, mehr Räume zu haben, die den Menschen genauso guttun wie anderen Lebewesen. Das ging in diesem Abstimmungskampf leider unter.