Der WOZ-Blog zum Ukrainekrieg

Hilfe? Fluchthilfe!

Mit dem Status S schafft der Bundesrat unkompliziert Schutz für Geflüchtete aus der Ukraine. Zuerst müssen sie aber auch in die Schweiz reisen können.

Ob es tatsächlich stimme, dass sie für die Zugfahrt kein Ticket brauche? Das wollte die Frau auf dem Bahnperron in St. Gallen wissen. Sie sei aus der Ukraine in die Schweiz gekommen, ihre Schwester lebe hier. Nun wolle sie nach Zürich, um rechtliche Abklärungen zu treffen. Auf der Fahrt erzählte sie die Geschichte ihrer Flucht: wie sie am Freitag nach dem russischen Angriff mit ihrem kleinen Sohn und einer Tante von ihrem Wohnort nahe Kiew an die rumänische Grenze fuhr. Die letzten Kilometer gingen sie zu Fuss, mussten stundenlang im Gedränge am Grenzübergang warten. Endlich auf der anderen Seite angekommen, konnten sie bei einer Familie übernachten. Ein Flug brachte sie nach Berlin, wo sie Verwandte mit dem Auto abholten. Nach 72 Stunden kamen sie mit ihren drei Koffern erschöpft in der Schweiz an. Nun wollen sie fürs Erste bleiben, eine Wohnung und Arbeit suchen. Sie putze auch, meinte die Dreissigjährige. Aber eigentlich arbeite sie im Finanzbereich.

Arbeit und Reisen möglich 

Am vergangengen Freitag hat der Bundesrat erstmals den Schutzstatus S in Kraft gesetzt. Damit könne man «pragmatisch und unbürokratisch» auf die grosse Zahl von Geflüchteten reagieren, sagte Justizministerin Karin Keller-Sutter. 1,5 Millionen Menschen haben gemäss dem Flüchtlingshilfswerk UNHCR die Ukraine verlassen, fast zwei Drittel davon halten sich derzeit in Polen auf. Der Schutzstatus S wurde nach den Erfahrungen der Jugoslawienkriege eingeführt. Verschiedene Migrationsrechtler:innen wiesen im Vorfeld darauf hin, dass es stark auf die Umsetzung ankomme, ob der Status tatsächlich die grosszügige Wirkung entfalte, die er verspreche.

Angesichts der Ankündigung des Bundesrats kann man fürs Erste vorsichtig optimistisch sein, zumindest was die Rechte der ukrainischen Staatsbürger:innen betrifft: Sie sollen ein Jahr in der Schweiz bleiben dürfen, möglichst rasch einer Arbeit nachgehen können, die Kinder die Schule besuchen können. Sie können bei Privaten wohnen, die Reisefreiheit innerhalb Europas ist gewährleistet. Nach dem einen Jahr kann der Bundesrat jederzeit entscheiden, dass die Geflüchteten zurückmüssen – in einen Staat, dessen künftige Form völlig unklar ist. Der Status S könnte so, wie das bei der vorläufigen Aufnahme F der Fall ist, für die Betroffenen eine dauernde Unsicherheit schaffen. Dass der Aufenthalt befristet ist, erschwert den Zugang zum Arbeitsmarkt. Individuell Verfolgte – politische Aktivist:innen etwa – können immerhin ein reguläres Asylgesuch stellen.

Die Hilfsbereitschaft aus der Bevölkerung sei sehr gross, sagte an der Medienkonferenz Christine Schraner Burgener, die neue Leiterin des Staatssekretariats für Migration SEM. Die Kosten einer privaten Aufnahme deckt der Bund allerdings nicht. «Es ist den Kantonen freigestellt, Private in einer speziellen Situation zu entschädigen», heisst es auf der Website des SEM. Für alle Fragen hat die Migrationsbehörde eine Mailadresse eingerichtet.

Busse und Züge nötig

Einen Vorteil hat die Ausrufung des Status S auf jeden Fall. Die Zivilgesellschaft, lange aus der Asylpolitik herausgedrängt, kann sich wieder stärker einbringen. Und ihr Druck wird durchaus nötig sein, damit auch jene, die nicht über einen ukrainischen Pass verfügen, aber ebenfalls aus dem Land fliehen, Schutz erhalten. Zumindest bei Personen, die schon in der Ukraine Asyl suchten, soll das laut Keller-Sutter möglich sein. Drittstaatler:innen sollen hingegen in ihre Herkunftsländer zurück.

Entscheidend wird letzlich sein, dass auch Flüchtende in die Schweiz gelangen können, die hier keine Verwandten haben. Eine Petition, die bereits 30 000 Personen unterzeichnet haben, fordert den Bundesrat auf, Busse und Extrazüge zur Verfügung zu stellen. Nur wenn aktiv Fluchthilfe geleistet wird, kann der Schutz auch gewährt werden. Die Gratisfahrt innerhalb der Schweiz ist auf jeden Fall gewährleistet. Auf der Fahrt nach Zürich akzeptierte der Zugbegleiter den Pass der jungen Ukrainerin mit einem freundlichen Lächeln als Ticket.