WOZ-Abstimmungsblog

Historischer Sieg, mühsame Umsetzung

Illustration: Ruedi Widmer

Mit dem klaren Ja zur Pflegeinitiative nimmt die Bevölkerung die Politik in die Pflicht. Doch noch sind etliche Hürden zu überwinden, bis sich die Situation für die Pflegefachleute verbessert.

Das Ja zur Pflegeinitiative kann man durchaus als historisch bezeichnen: Erstmals hat auf eidgenössischer Ebene eine gewerkschaftliche Initiative gewonnen, erstmals auch eine gesundheitspolitische. Dass letztlich doch nur 61 Prozent der Stimmenden Ja sagten, lag auch am indirekten Gegenvorschlag des Bundesrats, der rund eine Milliarde Franken für eine Offensive zur Ausbildung von angehenden Pflegefachleuten versprach.

Der Erfolg darf aber nicht darüber hinwegtäuschen: Ohne Coronapandemie und den dadurch ins öffentliche Blickfeld gerückten Notstand wäre die Abstimmung deutlich knapper gewonnen worden oder gar verloren gegangen. Ebenso schon jetzt lässt sich sagen, dass dieses Ja ohne weitere gewerkschaftliche und politische Kämpfe die Situation in Spitälern, Heimen und in der Spitex in den nächsten Jahren kaum verbessern wird.

Weitere Kämpfe nötig

Jetzt geht es an die mühsame Umsetzung: auf eidgenössischer Ebene, in den Kantonen – und nicht zuletzt in den Verhandlungen zwischen den Sozialpartnern. Allein auf eidgenössischer Ebene bleiben dem Parlament ganze vier Jahre, die Gesetzesartikel zu erlassen. Klar ist: Ohne erhebliche Erhöhung der Pflegefinanzierung geht es nicht.

Dass trotz Ablehnung des Gegenvorschlags deutlich mehr in die Ausbildung investiert wird, davon ist auszugehen. Fraglich bleibt, wie die Forderung nach besseren Arbeitsbedingungen innerhalb der nötigen Frist erfüllt werden kann. Die Verfassung lässt es nicht zu, auf eidgenössischer Ebene verbindliche Vorgaben zu Arbeitsbedingungen zu machen. Dafür sind die Kantone zuständig.

Mit welcher Energie sich bürgerliche Politiker:innen und ihre Verbündeten in Gesundheits-, Spital- und Versicherungsdirektionen gegen eine höhere Abgeltung der Pflegeleistungen stellen, wird sich in den kommenden Wochen im Bundeshaus zeigen. Dann nämlich debattiert der Nationalrat über eine Vorlage, mit der die Kosten im Gesundheitswesen mit Globalbudgets gesenkt werden sollen. Wozu eine solche Deckelung führen würde, lässt sich in Grossbritannien sehen: noch weniger Fachpersonal dort, wo es dringendst benötigt wird, etwa auf Intensivstationen.

Abschied von der Privatisierung

Wissenschaftliche Studien belegen längst, dass mehr und zugleich unter besseren Arbeitsbedingungen angestellte Pflegefachpersonen die Kosten nicht weiter nach oben treiben, sondern im Gegenteil senken – weil dadurch die Folgekosten durch mangelhafte Behandlungen sinken. Dennoch lautet das wirtschaftsliberale gesundheitspolitische Mantra noch immer: Um Kosten zu senken, muss beim Personal gespart werden. Das ist eine von privatwirtschaftlichen Profitinteressen geleitete Politik, die gerade in einem Service public widersinnig ist.

In den nächsten Jahren wird es deshalb auch darum gehen, die vor zehn Jahren von bürgerlicher Seite durchgesetzte neue Spitalfinanzierung, den unsinnigen Wettbewerb und die Privatisierungstendenzen rückgängig zu machen. Das Gesundheitswesen muss so weit wie möglich eine öffentlich-rechtliche Angelegenheit sein. So können auch die Anstellungsbedingungen in der Pflege attraktiver gemacht werden.