WOZ-Abstimmungsblog

Die Bodenhaftung verloren

Illustration: Ruedi Widmer

SVP, FDP, Mitte und GLP haben beim Versuch, einen Teil der Stempelsteuer abzuschaffen, ein wuchtiges Nein kassiert. Sie werden nicht umhinkommen, ihre Politik grundsätzlich zu überdenken.

Man konnte sich nur die Augen reiben, als SVP, FDP und GLP just sieben Tage vor Weihnachten 2020 im Nationalrat die Teilabschaffung der Stempelsteuer für Unternehmen durchdrückten ­– und sich später auch Die Mitte im Ständerat anschloss. Ausgerechnet mitten in einer Jahrhundertkrise, die unzählige Menschen an den Rand ihrer Existenz gebracht und den Bund fast dreissig Milliarden Franken gekostet hat, erfüllten die vier Parteien einen alten Wunsch des Wirtschaftsdachverbands Economiesuisse: ein Geschenk an die Konzerne, das den Bund jährlich eine Viertelmilliarde Franken kosten würde. Da hatten zwei Drittel des Parlaments endgültig die Bodenhaftung verloren.

Dreist waren auch die Mittel, zu denen die Befürworter:innen griffen, nachdem SP, Grüne und Gewerkschaften erfolgreich das Referendum eingereicht hatten. So behauptete SVP-Bundesrat Ueli Maurer im «Blick», dass der Zeitpunkt der Abschaffung mitten in der Pandemie ein unglücklicher «Zufall» sei, da die Vorlage ja von 2012 stamme. Dabei war sie bis vor Weihnachten 2020 sistiert gewesen, bevor sie Maurers Parteikollege Thomas Aeschi erneut aufs Tapet brachte. Entgegen den Fakten behaupteten die Befürworter:innen weiter, dass von der Abschaffung vor allem KMUs profitieren würden. Als die Bevölkerung dieser Behauptung nicht so recht glauben wollte, holte die SVP eines ihrer unterirdischen Werbeplakate hervor, das die Gegner:innen als Ungeziefer darstellte.

Es nützte alles nichts: Die Stimmbevölkerung hat SVP, FDP, Mitte und GLP mit satten 63 Prozent Nein-Stimmen die rote Karte gezeigt.

Die Leute sind nicht blind: Seit über zwanzig Jahren jagt eine Steuersenkung die nächste – stets mit dem Versprechen, dass die Konzerne so mehr investieren würden. Die Investitionen sind, gemessen am Bruttoinlandsprodukt, jedoch gar gesunken. Explodiert sind die Gewinne, die die Konzerne jährlich an die Aktionär:innen verteilen. Während es im Parlament stets heisst, für die AHV fehle das Geld, besitzt das reichste Prozent in diesem Land inzwischen 43 Prozent der Vermögen. Sie treiben mit diesem Geld nicht nur Immobilienpreise und Mieten in die Höhe, sondern kaufen sich damit auch eigene Universitätsinstitute und Zeitungen. Das ist Gift für die Gesellschaft.

Nicht einmal drei Jahre nach der letzten verabschiedeten Unternehmenssteuerreform (Steuer-AHV-Vorlage) treiben SVP, FDP, Mitte und GLP derzeit auch weitere Steuersenkungen voran. Kurz nachdem sie letzten Herbst die Industriezölle abgeschafft hatten, strichen sie im Parlament auch die Verrechnungssteuer auf Obligationen, die Steuerhinterziehung verhindern soll – wogegen SP, Grüne und Gewerkschaften bereits ein neues Referendum ergriffen haben. Weil aufgrund einer laufenden OECD-Reform rund 200 Konzerne etwas höhere Steuern bezahlen werden, schlug Maurer zudem vor, Topverdiener:innen weiter zu entlasten. Auch in den Kantonen werden entsprechende Pläne geschmiedet. So will etwa der Zuger SVP-Finanzdirektor Heinz Tännler die Vermögenssteuer senken.

Die heutige Botschaft an der Urne ist mehr als deutlich. Statt blind dem Wunschkatalog von Economiesuisse zu folgen, werden SVP, FDP, Mitte und GLP auf die Stimmbevölkerung hören müssen. Sonst wird bald die nächste Abfuhr folgen.