Bundesgrenzschutz: Vorbeifahrende Verbrecher

Sie suchen nach guten Autos – das sind Autos mit LenkerInnen, die etwas Widerrechtliches getan haben. Unterwegs mit dem deutschen Bundesgrenzschutz in Offenburg.

Kontrollstelle: «Nordafrikaner in einem Kleinbus, die schauen wir schon an, aber das hat nichts mit Diskriminierung zu tun, um Gottes willen», sagt Herr Himmelbach vom Bundesgrenzschutz.

Sie machen es einem nicht einfach. Sie sollten in diesem Stück die Bösen sein. Und dann sind sie sympathisch, erschreckend sympathisch. Herr Schuster, Herr Mutter und Herr Himmelbach. Sie gehören derselben Familie an: dem Bundesgrenzschutz (BGS) – der die Grenzen Deutschlands, aber auch die Züge und die Flughäfen überwacht. Zudem verfügt er über Sondereinheiten, die man an grossen Demos oder am Weltwirtschaftsforum in Davos antreffen kann. Die Bundesgrenzschützer sind keine Zöllner, sie sind Polizisten, Sonderpolizisten, und so werden sie ab diesem Sommer auch heissen: die deutsche Bundespolizei.

Herr Schuster nennen sie den Chef. Ein freundlicher, schlanker Mann, der gerne in Davos Ski läuft und beeindruckt ist, wie die Schweizer jeden Tag die Pisten so perfekt hinkriegen. Auf seiner Visitenkarte steht «Armin Schuster Polizeidirektor im BGS». Er residiert in einem schlichten Büro in Weil am Rhein, nicht weit von Kleinbasel. Herr Mutter ist sein Pressesprecher. Und Herr Himmelbach einer seiner Männer an der Front. Doch davon später.

Der Chef erzählt, wie er die Schengenwelt sieht: Am Anfang hatten unsere Fachleute Angst, wenn die Grenzen fallen, könnte es Probleme geben, heute sehen wir das eher als Chance ... Die Arbeit an den Grenzposten war statisch und unkreativ, Schlitzohren können sich gut darauf einstellen, doch alle unbescholtenen Bürger müssen darunter leiden, weil sie auch kontrolliert werden, die Unbescholtenen sollen aber ungehindert reisen können, für die soll es keine Grenzen mehr geben ... Mit unseren mobilen Einsätzen im rückwärtigen Raum sind wir erfolgreicher und sogar besser als früher.

Der Chef nimmt ein Papier, zeichnet eine Linie mit verschiedenen symbolischen Grenzposten und fährt fort: Da haben wir früher kontrolliert, sagt er und zieht Striche, die durch die Grenzposten gehen und an einem Punkt zusammenlaufen. Das sind die Strassen, die sich irgendwo hinter der Grenze zum Beispiel an einem Verkehrskreisel treffen. Da stellen wir uns für eine Stunde hin und kontrollieren, sagt der Chef, da sind wir viel effizienter, als wenn wir nur an einem Posten stehen würden ... muss eigentlich jeder Normalbürger verstehen, dass das sinnvoller ist.

Intuition und Fingerspitzengefühl

Und wie weiss man, wen man kontrollieren muss? Der Chef sagt: Sie könnten dort eine Viertelstunde stehen und wüssten nicht, wen Sie rausholen müssen, ich wüsste es auch nicht, er lächelt, da braucht es Erfahrung, viel Erfahrung und Fingerspitzengefühl und Intuition ... Die Geübten sehen blitzschnell, wenn etwas nicht stimmt, wenn ein langhaariger, junger Mann ein teures, schnelles Auto fährt, oder ein blitzsauberes Auto verdreckte Nummernschilder hat oder ein dreckiges Auto blitzblanke.

Irgendwie klingt es anständig, was der Chef sagt: Es geht zum Beispiel um illegale Arbeitsaufnahme ... die im grossen Stil Leute reinbringen, die dann für wenig Geld auf dem Bau arbeiten müssen ... Lohndumping, das will ja niemand. Schengen, fügt er an, ist eine Solidargemeinschaft, wie eine Versicherung, jedes Mitglied ist für die Sicherheit der anderen mitverantwortlich. Und noch etwas sagt der Chef: Die Schweiz ist der beste Partner, den man sich vorstellen kann ... Ende Februar gab es eine grosse Übung mit der Schweiz, in gemischten Streifen waren wir im Thurgau, in Schaffhausen und im süddeutschen Raum unterwegs, jeder hat seine Spezialisten mitgebracht, war sehr erfolgreich ... Auch das Polizeiabkommen zwischen Deutschland und der Schweiz hat Modellcharakter, ein deutscher Polizist kann heute schon einen Straftäter bis nach Zürich verfolgen und ihn dort verhaften, in Frankreich dürfen wir das nicht. Und wenn die Schweiz Schengen nicht beitritt? Der Chef schaut verblüfft: Das wäre eigentlich nicht eingeplant, sagt er und lächelt.

Das Bundesgrenzschutzamt in Weil ist zuständig für die vierhundert Kilometer lange EU-Aussengrenze zwischen Basel und Friedrichshafen. Aber auch für die deutsch-französische EU-Binnengrenze von Basel bis kurz vor Baden-Baden. Wer wissen will, wie sich Schengenland anfühlt, muss hierher kommen.

Herr Mutter hat alles organisiert. Der Audi quattro fährt zügig gegen Norden. Auf den Feldern sieht man Leute arbeiten. Herr Mutter sagt, das seien Spargelfelder und polnische Landarbeiter. Die hätten alle legale Verträge, würden hier drei Monate arbeiten und danach in Polen besser leben, als wenn sie dort das ganze Jahr arbeiteten. Fürs Spargelstechen finde man keine Deutschen, die würden sagen, sie lebten lieber von der Fürsorge, auch wenn sie knapper durchmüssten. Am Himmel stehen filigrane Wolken, zartgrüne Wälder und blühende Obstbäume ziehen vorbei. Herr Mutter erzählt von seinem Border Collie und dass der BGS bald neue Uniformen erhalten würde. Die, die sie jetzt tragen, habe ein Modedesigner in den fünfziger Jahren entworfen, aber diese beigen Hemden und grünen Hosen und Ja­cketts passten wirklich nicht mehr.

Alltag in Kehl

Nach einer guten Stunde hält Herr Mutter vor einem schmucklosen flachen Gebäude in Kehl. Das war früher das Grenzkontrollgebäude, doch die Überdachung ist abgebaut, nichts soll an den Zoll erinnern. Drüben, auf der andern Seite des Rheins liegt Strassburg. Auf dieser Seite ist es das Reich von Herrn Himmelbach. Ein fröhlicher Mann um die fünfzig. Er ist der Dienstleiter der mobilen Einheit Offenburg, ein unkomplizierter Chef, der selber Kaffee macht und selber das Geschirr abwäscht.

Er sagt, ich werde einfach zeigen, wie halt so ihr Alltag abläuft. Der Alltag der Schleierfahndung, der flexiblen, unberechenbaren Kontrollen. Er spricht von guten Tagen und von schlechten Tagen. Ein guter Tag ist ein Tag mit vielen Fahndungstreffern. Die letzte Nacht war eine gute Nacht. Da fanden sie einen perfekt gefälschten mexikanischen Pass.

Die Grenzkontrolle ist aufgehoben, sagt er, Unbescholtene sollen unbehindert reisen können, aber es ist nicht so, dass jeder beliebig zwischen Frankreich und Deutschland hin- und herreisen kann ... Bei den Kontrollen selektieren wir genau, wer ist interessant, wer nicht ... Eine Familie mit zwei kleinen Kindern werden wir sicher nicht kontrollieren, Nordafrikaner in einem Kleinbus, die schauen wir schon an, aber das hat nichts mit Diskriminierung zu tun, um Gottes willen. Er spricht vom Schleusen – was man in der Schweiz Schleppen nennt. Eine hohe kriminelle Energie steckt da drin, sagt Herr Himmelbach, wir gehen davon aus, dass mit Schleusen etwa gleich viel Geld verdient wird wie mit Betäubungsmitteln, aber wir können das natürlich nicht beweisen ... Da wird manchmal bis zu 10 000 Dollar bezahlt, um nach Europa zu gelangen, menschlich ist das zu verstehen, das wird sich auch nie ändern, das hängt mit dem wirtschaftlichen Gefälle zusammen.

Herr Himmelbach zieht Bilanz: Im letzten Jahr konnten wir 150 Haftbefehle ausführen, hatten 1200 bis 1300 Verstösse gegen das Ausländergesetz und etwa 5000 bis 6000 Verkehrsdelikte.

Die Kontrollstelle

Es ist fünf. Die Männer und Frauen der neuen Schicht stehen parat. Sie fahren raus, um eine Kontrollstelle aufzubauen. Herr Himmelbach nimmt einen grün-weissen BMW mit den Lettern Polizei. Wir brauchen schnelle Wagen, sagt Herr Himmelbach, aber manchmal sind wir auch mit diesem 25er Diesel zweite Sieger, er lacht amüsiert, kürzlich war da ein BMW M3, dessen Kennzeichen gefälscht war, ich wollte ihn rausholen, er bemerkte es, razfaz war er weg.

Himmelbachs Leute haben die Kontrollstelle an einer Verbindungsstrasse nach Strassburg aufgebaut. In der Strassenmitte steht ein grüner Polizeibus, davor ein Polizist mit leuchtender Weste und Warnkelle. Er ist der wichtigste Mann, der mit dem Fingerspitzengefühl und der Intuition, der, der die interessanten Autos aussortiert und nach links auf den Parkplatz dirigiert. Dort warten zehn PolizistInnen und Einsatzwagen. Zweihundert Meter weiter vorne steht am Strassenrand noch ein Polizeiwagen, ein unscheinbarer Combi, dem man seine 125 PS nicht ansieht, aber es ist wichtig, dass es ein starkes Auto ist, sagt Herr Himmelbach, weil es die Verfolgung aufnehmen muss, wenn einer durch die Kontrollstelle durchbricht.

Herr Himmelbach nimmt ein kleines graues Gerätchen in die Hand, das Handdatenfunkterminal, das direkt am nationalen Fahndungssystem und am Schengen-Informationssystem (SIS) angeschlossen ist. Mit einem Stift kann man Familiennamen und Geburtsdatum eingeben, innert weniger Sekunden gibt der Kleincomputer an, was über die Person gespeichert ist.

Der Polizist mit der Kelle hat ein Audi-Cabriolet auf den Parkplatz gewiesen, zwei junge, dunkelhaarige Männer sitzen drin. Ein typisches Auto, eins, das man immer kontrollieren würde, sagt Herr Himmelbach. Danach kommt ein unscheinbarer Fiat mit zwei bärtigen Männern, die wie gläubige Muslime aussehen. Eine Frau in einem Mittelklassewagen mit muslimischer Bekleidung. Fünf Jugendliche in einem Kleinwagen. Zwei junge Männer, dunkelhaarig wie Maghrebiner.

Bei allen Wagen spielt sich dasselbe Ritual ab. Ein Polizist tritt an die Fahrerseite, verlangt die Ausweise und gibt Namen und Geburtsdatum in den Computer ein, ein zweiter steht auf der anderen Seite des Autos und sichert, wie das in Polizeisprache heisst. Die Muslimin im Mittelklassewagen fährt weg, das Cabrio ebenfalls. Ein Mercedes, der Fahrer dunkelhaarig, vermutlich ein Roma, wird rausgeholt. Noch ein Mercedes, vermutlich ein Chinese, sagt Herr Himmelbach. Wagen kommen und gehen. Meist sitzen Männer am Steuer, die aussehen wie Ausländer. Das ist nicht diskriminierend, sagt Himmelbach, das ist einfach unsere Klientel.

Es wird unruhig. Ein Treffer, es geht um die beiden Bärtigen. Himmelbach sagt, die Franzosen wollten Auskunft. Mehr darf er nicht sagen. Dann lässt man die beiden ziehen.

Der mobile Schleier

Später folgt der mobile Schleier. Herr Himmelbach fährt auf die Autobahn, hängt sich an einen langsamen Laster und lässt die Autos an sich vorbeiziehen, bis ein gutes Auto kommt. Ein gutes Auto ist ein Auto, das einen Schengentreffer verspricht. Das gute Auto, das kommt, hat ein auffälliges Nummernschild. Himmelbach beschleunigt auf 180 Stundenkilometer, schaltet das Blaulicht ein und braust hinterher. Das gute Auto wechselt auf die rechte Spur, Himmelbach überholt, auf dem Dachbalken erscheint die Schrift «Polizei, bitte folgen». Das gute Auto folgt bis zur nächsten Raststätte. Es sind zwei Italiener. Himmelbach lässt per Funk die beiden Identitätskarten überprüfen. Die Zentrale sagt, da ist etwas. Die eine Identitätskarte ist als verloren oder gestohlen gemeldet, die andere Person hat einen alten Eintrag. Herr Himmelbach redet mit den beiden, kommt zurück und erzählt schmunzelnd: Alles bestens, der eine hat gesagt, «nicht erschrecken, habe Bewährung, habe Steuer beschissen», und der andere hatte seine Identitätskarte verloren und vergessen, es den Behörden zu melden, dass er sie wieder gefunden hat, Italiener halt.

Am Ende wird Herr Himmelbach sagen, das war kein besonders guter Tag, keine interessante Klientel. Er tut seine Arbeit mit so viel Freundlichkeit, Leidenschaft und Begeisterung, dass man nicht wagt zu fragen, ob er es eigentlich nicht für rechtsstaatlich fragwürdig hält, was er tut. Seine Arbeit besteht darin, Leute anzuschauen und sich zu fragen, ob sie vielleicht ein Delikt begangen haben könnten. Der Rechtsstaat geht aber davon aus, dass man zuerst ein Delikt und einen Verdacht gegen eine bestimmte Person haben muss, bevor die Polizei eingreift, kontrolliert und den Verdacht zu erhärten versucht. Strafverfolgung eben. In Himmelbachs Welt passiert das Gegenteil: Man zupft einen Menschen heraus, einfach weil er aussieht wie einer, der ein Delikt begangen haben könnte. Das nennt sich verdachtsunabhängige Kontrollen. In der Schweiz möchte die Polizei das auch tun, obwohl das Bundesgericht sagt, dass es nicht zulässig ist. In Schengenland gelten alle, die es nicht schaffen, unbescholten auszusehen, als verdächtig: Das ist das Ende der Unschuldsvermutung – das kostbarste Gut im Rechtsstaat.◊

Ein Albtraum

«Zur Festung Schweiz noch die Festung Europa? Nein danke! Ich bin für einen möglichst baldigen 
EU-Beitritt. Genau deshalb kann ich aber nicht akzeptieren, dass sich die Schweiz selektiv an -Abkommen beteiligt, die von der -gesamten euro-päischen Linken bekämpft werden: Das SIS-System ist ein sicherheitspolitischer Albtraum, und Dublin steht für das Ende des Asylrechts. Die einzige Möglichkeit, die organisierte Kriminalität erfolgreich zu bekämpfen, ist die Aufhebung des Bankgeheimnisses. Die Schweiz hat genau das Gegenteil gemacht und im Abkommen zu Schengen/Dublin das Bankgeheimnis abgesichert.»
Marianne Huguenin, Nationalrätin, A gauche toute! (Parti du Travail), Gemeinderätin von Renens VD 
und Ärztin.