Durch den Monat mit Philipp Schwander (Teil 1): Wie erkennt man Gerüche?

WOZ: Für einen Weinpapst ist die Nase das wichtigste Werkzeug. Haben Sie Ihre Nase versichert?
Philipp Schwander: Ich bin kein Weinpapst, das finde ich anmassend. Als ich mit sechzehn begann, mich mit Wein zu beschäftigen, kaufte ich mir den «Kleinen Johnson». Nachdem ich den gelesen hatte, dachte ich: Jetzt weiss ich alles über Wein. Nun bin ich bald vierzig und weiss, dass ich eigentlich ziemlich wenig weiss.

Ein krasses Understatement.
Nun, ich lerne immer noch dazu. Aber ich habe mich tatsächlich einmal erkundigt, ob ich meine Nase versichern könnte. Das wäre aber derart teuer, etwa 4000 Franken im Monat, dass ich mir das gleich wieder abschminkte.

Hatten Sie schon als Kind einen 
besonderen Riecher?
Meine Mutter sagt, ich hätte sie oft zur Verzweiflung getrieben, weil ich immer am Essen rummeckerte: zu viel Salz, zu wenig Salz, das Breili zu dick oder zu flüssig. Ich war ein schwieriges Kind. Aber ich war schon damals sehr empfindsam, was die unterschiedlichen Geschmackseindrücke anbetraf.

Der Held in Patrick Süskinds «Das Parfüm» hat sehr gelitten unter seinem Talent. Sympathisieren Sie mit ihm?
Seine Geschichte ist sicher dramaturgisch überzeichnet, aber es gibt schon Gerüche, die mir nicht passen. Die verschiedenen Gerüche etwa im Tram machen mich beinahe wahnsinnig.

Diesen Herbst wurde der Nobelpreis für die Erforschung des Geruchssinns verliehen. Demnach kann der Mensch mehr als 10000 verschiedene Düfte identifizieren. Kennen Sie die alle?
Nie im Leben. Gerüche erkennen ist eine Übungssache wie das Klavierspielen. Wichtig ist das Memorisieren. Wenn ich Bordeaux-Weine degustiere, wie vorgestern Abend verschiedene 1982er, dann vergleiche ich sie aus dem Kopf mit den gleichen Weinen, die ich früher schon degustiert habe. Den Pichon de Lalande 82 beispielsweise hatte ich bereits vom Fass probiert und seither sicher dreissigmal verkostet. Der war natürlich vor zehn, fünfzehn Jahren viel fleischiger.

Wie erkennt man Gerüche? Was heisst das: Ich habe sie im Kopf?
Das Hauptproblem beim Weinbeschreiben ist der «Fruchtsalat»: Sagt man, dieser Wein riecht nach Pflaumen, dann drückt man das Aroma in die Pflaumenecke und kann es so vielleicht einfacher memorieren. Natürlich hilft einem die Aromenbeschreibung, den Wein abzuspeichern, die Schubladisierung nach gewissen Aromen ist aber eine grobe Vereinfachung. Spricht man ausserdem nur von den Aromen, ist das, als beschreibe man ein impressionistisches Bild ganz aus der Nähe: rote Tupfer, blaue Tupfer, grüne Tupfer. Das ist zwar nicht falsch, beschreibt aber das Bild nicht sehr anschaulich. Wenn ich einen dieser 82er beschreibe und mit «gerösteten Weichselkirschen» um mich werfe, können Sie sich den Wein nicht vorstellen. Sage ich aber: Er ist fleischig, voll, kräftig, alkoholreich, dann kann man sich darunter etwas vorstellen.

Wie schnell erkennen Sie einen Wein?
Quasi sofort. Wenn nicht, was auch häufig vorkommt, habe ich Mühe, herauszufinden, was es ist. Es gibt ja unendlich viele Weine, und wenn es jetzt ein Kompleter oder irgendeine autochthone Sorte aus dem Piemont ist, dann weiss ich es nicht. Nur Louis de Funès kann am Glas riechen und sagen: Das ist Fass 7b von Château sowieso, und der Kellermeister hat Schuhgrösse 43. Das Wichtigste beim Degustieren ist meines Erachtens das Qualitätsempfinden. Dass man merkt – wie bei einem Möbel, das schön verarbeitet ist oder eben billig – ob ein Wein hochwertig ist. Dort zeigt sich, ob jemand degustieren kann.

Vor acht Jahren haben Sie die Master-of-Wine-Prüfung bestanden. Dabei sind 98 von 100 Kandidaten durchgefallen. Wieso findet diese schwierigste Prüfung der Weinwelt ausgerechnet in London statt?
Britannien war um 1900 die reichste 
Nation der Welt, hatte überall Kolonien, und die Elite war weit gereist, hatte Zeit und Geld. Die besten Bordeaux sind immer nach England gegangen. Auch die beste Weinliteratur kommt aus England. Die Briten hatten keinen eigenen Weinbau, waren also nicht so chauvinistisch wie andere Nationen. Die Briten können gut beobachten und beschreiben und 
haben immer auch eine gesunde Distanz zum Thema. In Frankreich beispielsweise wird Wein häufig zu poetisch und zu dogmatisch beschrieben.

Haben Sie auch schon bereut, das Hobby zum Beruf gemacht zu haben?
Nein, ich empfand es immer als Glück. In meiner Familie hat es viele Juristen, und ich glaube nicht, dass mir das so viel Freude wie der Wein bereitet hätte.

Sie haben also von morgens bis abends Spass?
Nein, keinesfalls. Wie in jedem Beruf sind vielleicht achtzig Prozent Routine: Offerten erstellen, Papierkram bewältigen, Disposition der Einkäufe. Vielleicht ist Weinhändler deshalb so ein Modeberuf geworden, weil die Leute glauben, als Weinhändler sei man immer auf Reisen und geniesse täglich Wein in den schönsten Regionen. Die Realität ist, dass es viel zu viele Weinhandlungen in der Schweiz gibt, der Markt schrumpft, und viele Weinhändler müssen um ihre 
Zukunft bangen.

Philipp Schwander ist Weinhändler und der einzige Master of Wine in der Schweiz. Die Master-of-Wine-Prüfung ist die anspruchsvollste in der Weinwelt.