Durch den Monat mit Philipp Schwander (Teil 3): Eine kriminelle Branche?

WOZ: Wie wertvoll ist Ihr privater Weinkeller?
Ich habe nur wenige Flaschen im eigenen Keller. Das Einzige, was ich sammle, ist deutsche Literatur, Erstausgaben. Wein sammle ich eigentlich nicht. Zum Glück habe ich Freunde, die mich zu seltenen Flaschen einladen.

Und welche literarischen Kostbarkeiten sammeln Sie?
Zum Beispiel habe ich eine Goethe-Erstausgabe, die noch zu seinen Lebzeiten erschienen ist. In erster Linie aber sammle ich Literatur aus dem 20. Jahrhundert; sehr freut mich beispielsweise eine Erstausgabe von «Tod in Venedig» mit Thomas Manns Autogramm.

Sie veranstalten auch Wein-und-Kultur-Anlässe?
Kunst- oder Kulturanlässe, ja. Aber nicht im Zusammenhang mit Wein. Es ist meistens peinlich, wenn die Kunst den Wein zum Thema machen muss. Die Veranstaltungen organisiert mein Geschäftspartner Felix Kauf, der im Kulturbereich gut verankert ist. Er hat beispielsweise die Autorenvereinigung «Das Netz» mitgegründet.

Kann ein Wein für 500 Franken seinen Preis wert sein?
Das sind die so genannten «Briefmarkenweine». Sie sind selten, aber die ganze Welt will sie kaufen; dadurch steigt der Preis teilweise ins Unermessliche. Aber auch diese Weine sind «nur» aus Trauben gekeltert. Ihre Preise steigen häufig exponentiell: Um einen zehn Prozent besseren Wein zu erhalten, muss man hundert Prozent mehr bezahlen.

Alle paar Jahre gibt es einen üblen Weinskandal, wie etwa Mitte der achtziger Jahre in Österreich den Diethylenglykol-Skandal, wo dem Wein ein Frostschutzmittel beigemischt wurde. Oft wird auch minderwertige Ware mit falschen Etiketten versehen und teuer verkauft: Ist die Weinbranche krimineller als andere?
Ich denke nicht. Es gilt wie überall die gausssche Glockenkurve: Man nimmt beispielsweise an, dass rund fünf Prozent der Bevölkerung gefährdet sind, Alkoholiker zu werden. Es ist anzunehmen, dass von einer Bevölkerung auch ein gewisser Prozentsatz zu kriminellen Handlungen neigt. Das ist sicher unabhängig von der Branche. Aber mit Wein kann man relativ einfach betrügen. Schlimm ist Betrug, wenn er die Gesundheit gefährdet. Ich finde es bezeichnend, dass Sie den österreichischen Weinskandal erwähnen, nicht aber den italienischen ein Jahr später, wo Leute erblindeten und starben. Da haben skrupellose Händler den Weinproduzenten Methylalkohol verkauft, um einen schwachen Jahrgang aufzubessern, weil Methanol viel billiger ist als Ethanol. Dabei wussten sie genau, dass der hochgiftig ist. Das war eine der übelsten Panschaffären des 20. Jahrhunderts, und niemand redet mehr davon. Bella Italia!

Also doch eine besonders kriminelle Branche?
Nein, die meisten bemühen sich, einen möglichst guten Wein zu produzieren. Daneben gibt es die üblichen schwarzen Schafe. Wie beim Extra-Vergine-Olivenöl, das mit Erdnussöl und anderen billigen Ölen gestreckt wird.

Es ist ja auch nicht besonders schwierig, ein Etikett zu fälschen.
In den neunziger Jahren wurden berühmte Weine wie Château Pétrus oft gefälscht. Deshalb bringen die Produzenten der teuersten Weine jetzt unsichtbare Markierungen oder Wasserzeichen an.

Sind die Weinjournalistinnen und -journalisten nicht zu stark mit Produzenten und Handel verbandelt?
Auch hier gibt es natürlich Leute, die in einer Grauzone operieren oder sich von gewissen Unternehmen bezahlen lassen. Meistens aber ist der Schweizer Weinjournalismus solide. Natürlich kennt der eine oder andere Journalist gewisse Produzenten persönlich und lobt diese Weine vielleicht etwas mehr. Darüber hinaus gibt es Tendenzen – nicht nur bei Wein –, durch gekaufte redaktionelle Beiträge verkappt Werbung zu betreiben.

Wie sollen sich unsere Leserinnen und Leser beim Weineinkauf orientieren?
Meine Empfehlung: Einen Weinhändler seines Vertrauens wählen, die Weine dort oder noch besser zuhause zu einem Essen degustieren. So findet man sicher den Wein, der einem zusagt. Auch beim Grossverteiler gibt es – neben billiger Überschussware – teilweise gute Weine. Es ist aber nicht so, dass diese grundsätzlich viel billiger als im Handel sind. Eine Ausnahme bilden die bekannten Bordeaux-Châteaux, die häufig mit minimaler Marge verkauft werden, um zu suggerieren, dass bei den anderen Weinen ähnlich tief kalkuliert wird. Wein ist bei den Grossverteilern so beliebt, weil man dort noch Geld verdienen kann. Alle wissen, was ein Kilo Butter kostet, aber bei irgendeinem unbekannten Wein ist der Preisvergleich viel schwieriger. Auch die Migros wird, wenn der Konkurrenzdruck durch Aldi und andere noch grösser wird, bald mit Wein anfangen.

Philipp Schwander ist Weinhändler und der einzige Master of Wine in der Schweiz. Die Master-of-Wine-Prüfung ist die anspruchsvollste in der Weinwelt.