Ein Doku-Drama: «Halt dini Schnurre, susch rupf di, hä!»

Tonbandprotokoll zur Erinnerung an den teuersten Polizeieinsatz der Schweizer Geschichte. Kaum gekürzt. Für Tipp- und Hörfehler kein Gewähr.

Diese Autoren sind:

R. - Gelernter Fotograf. Im Sommer Alphirte, im Winter Künstler, «der sein Leben dokumentiert». Momentan in Berlin, seit drei Sommern regelmässig in San Bernardino.

Good Cop. Etwa 30. Spricht geduldiges, langsames Hochdeutsch mit erstaunlicher Grammatik. Untergebener von Bad Cop.

Bad Cop. Doppelt so alt wie sein Untergebener Good Cop. Spricht fast nur Schweizerdeutsch mit Bassstimme. Kräftig. Da er ab dem II. Akt praktisch bei jeder Äusserung schreit, ist sein Dialogteil fett dargestellt.

I. Akt
Im Schnellzug Wien-Zürich.
(Es ist der 21. Janauar, kurz vor 17 Uhr. Der Zug fährt auf Buchs zu. R. ist seit acht Stunden unterwegs. Er spielt auf seiner Mundharmonika und nimmt dasselbe mit Tonband auf – ein zugegeben exzentrisches Vergnügen –, als plötzlich…)

– Grüezi, Passkontrolle.
– Grüezi. (Gibt Pass.)
– Wohin fahren Sie?
– Ich fahr nach San Bernardino.
– Was machen Sie in San Bernardino?
– Langlaufen. Ich hab meine Ski da draussen.
– Kann ich Ihre Fahrkarte noch sehen?
– Die mussi mir erst kaufen. Ich hab sie nur bis zur Grenze.
– Bis Buchs? (Beginnt mit der Durchsuchung.)
– Ja. Suchen Sie was bestimmte, oder? Das sind meine Privatunterlagen. Woass net, ob das interessant ist.
– Was sind Sie?
– Künstler.
– (skeptisch) Künstler… so!
– Sie werden auch arbeiten in der Schweiz?
– Ja i arbeit im Sommer. I arbeite auf der gleichen Alm, da wo ich jetzt hinfahr, im Sommer…
– Jetzt nicht?
– Naa. Jetzt geh ich langlaufen. Und das Gebiet anschauen. Vielleicht snowboarden.
– Wieviel Geld haben Sie dabei?
– Reicht schon.
– Wie lange bleiben Sie?
– 3 Tage
– 3 Tage?
– (Durchsucht den Rucksack. Währenddessen wird er von R. fotografiert)
– Was machen Sie?
– Ich bin Fotograf, Künstler.
– Ja, müssen Sie Sachen fotografieren?
– Ja, mein Leben, was so passiert. Es geht mi ja a. Trifft ja mi. (Zum Beamten, der den Rucksack durchsucht) Nix, was i nit haben darf.
– Ja, da müssen Sie aussteigen.
– Aussteigen? Wieso soll i aussteigen? Da komm i ja nimmer nach San Bernardino.
– Es geht sowieso kein Zug.
– Ja, wieso? Der Bus fahrt von Chur weg.
– Ja, aber Sie kommen nicht nach Chur, heute. Demonschtration.
– Wo?
– Überall.
– Überall?
– Ja.
– Ja, was betrifft mi das, wenn i auf mei Alp fahrn will. Versteh i nid. I will langlaufen.
– Wir machen jetzt ein paar Abklärungen und dann können Sie…
– Ja was nutzt mir das? I kann ummistehen und i der Nacht fahrt ka Bus mehr von Chur weg. Ja i muss nach San Bernardino.
Isch sowieso gesperrt nach Chur.
– Wieso?
Wieso? Wils Demonschtrante hätt uf em Bahnwäg nach Sargans. Will sit em Mittag kä Zug fahrt…
– Ka Zug fahrt? Scheisse.
(Unverständliche Passage, in welcher der Good Cop «Ja Scheisse» wiederholt. Dann fährt er fort:)
– Was glauben Sie, warum kontrollieren wir hier alles?
– Ja, i weiss ned.
– Aber ich – das ist kein Spass!
– Ja… ach so. Was soll i jetzt machen. Geht nix mehr nach San Bernhardino heut?
(Die Polizisten beraten sich: «Er will da go langläufe…» «also ich…» «söttet wir per Funk abkläre…» «Mal luege was da…» «Er söll iipacke…» R. protestiert:)
– Aber dann verpass i mein Zug. I will doch net aussteigen. Ich kann doch über Zürich und dann über Andermatt a hinfahren…
– Aber nicht mehr heute Abend!
– (Wird angefasst) Was solln das, he Mann? Ich möchte hier nicht aussteigen.
– Ja! Wir nehmen alles mit und steigen aus.
– (Einpackgeräusche) Ja was solln das. Wie behandelns die Leit bitte? Ich will ganz normal in die Schweiz fahren und Sie schmeissen mi ausm Zug raus.
– Wissen Sie…
– Tja extrem freundlich, san se.

II. Akt
Im Wachhaus des Buchser Bahnhofs
(Good Cop, Bad Cop und R., der sein Geld vorzählt)

– 1600… 700… Und a Karte hab i a noch für den Bankomat.
– Warum haben Sie fotografiert im Zug?
– Weil i mein Leben fotografier. Ich tu jeden Tag, was mir passiert, fotografiern. Ich hab viele Fotos von Grenzkontrollen.
– Und Namensschildern! Halb sechs geht der Zug zurück nach Feldkirch.
– Ja, was um halb sechs? Wieso soll i zrückfarn?
Ja. Sie gehen einfach zurück! Es gibt keine Diskussion! Sie fahren zurück. Den Grund wissen Sie, haben wir Ihnen gesagt.
– Ja…
Ende! Fertig! Keine Diskussionen! Aus!
– Wieso… i bin doch ka Demonstrant ned! Was soll des?
Wieso haben Sie ihn dann andauernd fotografiert? Hä?
– Weil i mein Leben fotografier…
Halt dini Schnurre, susch rupf di, hä! (Stossgeräusche) Also jetzt, hä! (Geräusch) Such putz dir ä paari!
– Was soll das, i bin nit frech?
– (Gleichzeitig) Hä … du fräche Hund du! Hä! So, abfahre!
– (Gleichzeitig) Was soll des?
– (Gleichzeitig) So, abfahre! Iischtiege und verschwinde!
– Das ist ja unglaublich. Voll rabiat a no werden, eh…
– (Gedämpfte Tobgeräusche des Bad Cop im Hintergrund.)
– Ja es tut mir leid, dass Si mi net mögen. I hab mich gfreit, dass ich drei Tag mal ausspannen kann, i der Natur und so…
– (sachlich) Sie haben gehört, um was es geht. Wenn Sie das nicht akzeptieren, können Sie sich schriftlich beschweren. Okay.
– Der eine geht mi an und der andere… (sieht Good Cop an) He was solln das?
– Das sagen S i e.

(Schnitt: Nachdem der Good Cop mit seiner letzten Bemerkung zu verstehen gegeben hat, dass es für eine Tätlichkeit nur einen statt zwei Zeugen gab (Bad Cop stiess R. oben hart in Brust- und Halsbereich), wird R. ein Rückweisestempel in den Pass geknallt. (Übrigens keineswegs ein legaler Akt, da bei Ausweisungen 30 Tage Frist zu beachten sind und eine schriftliche Begründung gegeben werden muss.) Nun gut, Good Cop knallt den Stempel in den Pass… )

– Was heisst des also bitte?
– Dass Sie zurückgewiesen worden sind.
– Und was heisst des, wenn i das nächste Mal einreisen will?
– Kann man das annullieren.
– A so.
– (Prozedere)
– Darf i mein Pass haben, jetzt wieder, bitte? Okay. Wiederschauen. (Im Gehen) Ja Wahnsinn, ha!
– (sehr laut, sehr wütend) Ja, muesch de Grind nit schüttle, susch kei di underen Zug undere, du huere Lump!
– (Gleichzeitig, mit Erkenntnis) A! So oaner bist du!
– (Gleichzeitig) Muesch stille si, susch putz der im Fall eini! I ha dir scho gseit…
– (Gleichzeitig) Bin oaber nit still. So was lass i mir ned gfallen…
– (Gleichzeitig) Sauhund, du!
– (Gleichzeitig) I bin nicht frech! Sie sind aggressiv!
– (Gleichzeitig) Hä, du… üs photographiere und so blöd tue, dass ihr chönnd verschwinde!
– Ja, i fotografier mei Leben. I hab scho vom Zug aussi fotografiert. I hab den ganzen Tag scho fotografiert. Ihr seid nicht die ersten, die i fotografiert hab…
– Ja… (Tobgeräusche)

III. Akt
Auf dem Bahnsteig
(Warten mit Good Cop, Bad Cop und einigen Grenzwächtern auf den Regionalzug nach Feldkirch)

– I versteh das nit. Macht ihr das eigentlich immer so, oder?
– (Ein Grenzwächter) Muesch nöd mit mir rede.
– Ja…
– (Good Cop) Ich sage es nur einmal. Mich hat man zu fragen und meine Kollegen, wenn man uns fotografieren will. Einfach – ich spreche jetzt – und sonst wissen Sie's nachher wieder nicht mehr. Zweitens haben Sie Unterlagen, dabei, die darauf schliessen, dass Bauern Arbeitnehmer suchen. Verstehen Sie – Verdacht der Arbeitsaufnahme.
– Ja, i geh jetzt nicht oabeiten…
– Ja, ja. Aber es ist der Verdacht. Aber wenn jemand als Tourist in die Schweiz reist und Unterlagen mitnimmt von 20 Arbeitgebern, die Leute suchen, dann stimmt doch etwas nicht.
(Bei den Unterlagen, von denen die Rede ist, handelt es sich um drei Jahre alte Listen von Bergbauern, die Personal suchen. R. fand mittels ihnen seine Halbjahresstelle als Alphirt in San Bernardino. Er nahm sie mit, um sie bei seiner Rückkehr nach Wien Freunden zu geben. Illegale Arbeitsaufnahme wäre tatsächlich ein Rückweisungsgrund. Der «Verdacht der Arbeitsaufnahme» existiert juristisch nicht – wie viele andere Rückweisungsgründe, die in Davos angewendet wurden, vor allem von Phantasie zeugen: So wurde etwa eine deutsche Journalistin wegen ihres abgefahrenen Pneuprofils ausgewiesen.)
– Aber i hab des ned für mi mit. I hab denk das für Leute mit, die…
– Wissen Sie, das beste ist, wenn Sie heute zurückfahren und das nächste Mal können Sie wieder kommen.
Drüben ist es auch schön.
– Ja, scheen scho… aber ka Schnee… in San Bernhardino is Schnee, in Insbruck is ka Schnee…
Und dann müssen Sie mir sagen, mit ihrem Übergwand, wo Sie hingehen wollen! (Bad Cop spielt im folgenden auf R.'s Outfit an: einen blauen Overall und Sandalen, die ebenfalls bald eine Rolle in seinem kriminalistischen Denken spielen werden.)
– (zu Good Cop) Wieso…?
– Ich habe es jetzt ihnen eröffnet und so ist es. So ist die Sachlage. Es ist jetzt eine schwierige Zeit jetzt momentan. …
– Ja wieso, was ist schwierig?
– Ja, weil eine schwierige Zeit ist. Ich muss mich darüber nicht rechtfertigen. Wir haben strikte Weisung. Wenn jemand nur den Verdacht oder nur den Hauch an den Tag legt, nicht als Tourist in die Schweiz einzureisen – zurück… Und Sie haben Verdacht geweckt, dass Sie nicht unbedingt als Tourist einreisen. Okay.
– Ja aber ich bin Tourist… Ich wui drei Tage langlaufen… Ich bin Sporttourist.
– Es geht nicht um das. Sie können von mir aus mit dem Zelt kommen. Aber wenn jemand mit dem Zelt kommt, nimmt er doch keine Unterlagen mit, wo er sich melden kann, um zu arbeiten.
– He tut mir leid. Des hab i nit mit. Weisch warum i des mithab. Des hab i mit, weil i viele Leute in Oesterreich kenn, die a Alm suchen. Ich selber hab mei Alm.
Die sueched i dä Schwitz en Alm? Das isch ja umgekehrt! Die Schwyzer sueched det dusse Alme! Ja nöd!
– Ja ne. Die Schweizer gehn gar nit auf die Alm, weil die san z'guet dafür.
Zum Skifahren geht man nach Österreich, nicht in die Schweiz, wo es teuer ist.
– Okay, wir verstehen uns.
– Ja … nei!
– Das ist leider so. Kann ich nichts machen, gäll? Das heisst nicht, dass Sie nicht mehr kommen dürfen. Heisst es gar nicht.
– …
Jetzt müssen Sie mir mal sagen: So gehen Sie auf Reisen!
– Ja, ich sitz doch nicht mit dem Skizeug im Zug einni, wenns hoass is!
– (höhnisch) Ja mit d e n Schuhen!
– Ja, soll ich mir etwa dicke Schuh im Zug aoziehen, dass ich Schweissfüss krieg, wie Sie vielleicht erwoaten werden…
– (explodiert) I han kei Schweissfuess, wenn du's nöd weisch. Aber ich chas dir's erkläre, dass ich kei han! Und jetzt chasch iistiege, verschwind…
– Mach was soll des? Ich han koa diche Schuh an…
– Es ist egal. Es ist egal, wie Sie reisen, aber ich habe Ihnen gesagt, warum Sie zurückreisen.
– Ja, ich versteh… aber ich versteh ned. Es is also a offenes Land oder irgendwie?
– Wir sind ein offenes Land, aber momentan ist eine Situation, bei der wir ganz genaue Kontrollen machen. Da oben, nicht viele Kilometer, sitzen sie auf den Bahngeleisen, sie belagern Bahnhöfe. Sie sind alle mit den Skiern gekommen – wie Sie! Alle die haben gesagt: Jawoll, wir werden skifahren! Da sind sie… da sind sie… gäll. Okay, nichts für ungut. Das nächste Mal klappts dann…
– Okay, Wiederschaun.

(Kurz bevor der Zug anfuhr, sprang R. noch einmal aus dem Abteil und verlangte von Bad Cop die Dienstnummer. Er bekam nichts als Flüche. Der Zug fuhr an, R. wollte sein Gepäck (hier hätte Bad Cop auch die Skikleidung gefunden) nicht vernachlässigen und sprang auf. Er hielt sich seitdem an die Worte Bad Cops, dass Skiurlaub in Österreich billiger ist.)