Ein Kompromiss ist möglich: Aber wie findet George Bush aus seiner Sackgasse heraus?
«Noch nie seit 1945 waren die USA global so sehr isoliert wie heute.» Der dies Anfang dieser Woche festgestellt hat, ist kein Linker oder friedensbewegter Kritiker der Irak-Politik von Präsident George Bush, sondern Zbiginiew Brzezinski, der ehemalige Sicherheitsberater von Präsident Jimmy Carter (1976–80), ein jahrzehntelanger Falke und Hardliner der US-amerikanischen Aussenpolitik. In seinem (sehr empfehlenswerten) Buch «Weltmacht USA – Amerikas Strategie der Vorherrschaft» beschreibt Brzezinski kühl und ungeniert die Interessen und die Politik der USA im Nahen Osten und in Zentralasien während der letzten fünfzig Jahre, erklärt, warum diese Region auch mindestens für das nächste halbe Jahrhundert für die USA von vorrangiger geostrategischer Bedeutung ist und beschreibt die überwiegend militärischen Instrumente, mit denen Amerikas Interessen in dieser Region auch künftig durchzusetzen seien. Menschenrechte, Demokratie, Umweltschutz – «diese weichen Themen, die in der Aussenpolitik nichts zu suchen haben» (Henry Kissinger) – kommen in Brzezinskis Buch nicht vor.
Doch Brzezinski ist kein Neokonservativer, kein ideologischer Eiferer mit heilbringendem Sendungsbewusstsein für den Rest der Welt. Das unterscheidet ihn von den Männern, die wesentlich verantwortlich sind für die von ihm beklagte Isolation der USA und unter deren Einfluss George Bush vielleicht schon Ende nächster Woche einen Krieg gegen den Irak mit wahrscheinlich desaströsen Auswirkungen für die ganze Welt beginnen wird.
Richard Perle, der einflussreiche Chefberater des Pentagons, Verteidigungsminister Donald Rumsfeld und sein Vize Paul Wolfowitz, der stellvertretende Aussenminister Richard Armitage und Vizepräsident Dick Cheney – das sind die Männer, die das Projekt eines Krieges gegen den Irak mit dem Ziel des Regimesturzes in Bagdad bereits seit 1998 zielstrebig und ganz offen verfolgten und die Präsident Bush nach den Terroranschlägen am 11. September 2001 für dieses Projekt eingespannt haben. Das geht eindeutig aus der internen Meinungsbildung der Bush-Regierung in den Jahren 2001 und 2002 hervor, deren Protokolle inzwischen weitgehend offen liegen. Bush ist eine Marionette in den Händen dieser Männer. Deshalb führt die ja auch in Teilen der Friedensbewegung so beliebte Personalisierung und die Fixierung auf das Feindbild oder die Brezel verschluckende Witzfigur Bush in die Irre.
Perle, Wolfowitz und Co. drängen auf einen baldigen Krieg – ohne Rücksicht auf die damit verbundenen Risiken, darunter etwa diejenigen für Bushs Wiederwahlchancen im November 2004. Dabei sprechen immer mehr Umstände für eine Kurskorrektur. Die Annahme des von den USA vorgelegten Entwurfs für eine Kriegsresolution durch den Uno-Sicherheitsrat gilt inzwischen als nahezu ausgeschlossen. Trotz dem massiven Druck, den die US-Regierung auf andere Ratsmitglieder ausübt – oder auch gerade deswegen.
Ohne eine zweite Resolution muss Bush damit rechnen, das Grossbritannien abspringt – und in der Folge dann auch Australien und andere Staaten, die bisher ihre Beteiligung an einem Krieg oder zumindest dessen Unterstützung zugesagt haben. Doch selbst wenn Tony Blair das hohe innenpolitische Risiko eines Krieges ohne neue Uno-Resolution eingehen sollte: Für die Zeit nach einem Krieg und den Wiederaufbau des Irak wären die USA wieder auf die Unterstützung durch die zuvor mit einem unilateralen Krieg brüskierten anderen Uno-Staaten angewiesen. Die operativen Pläne für einen Krieg wurden durch das Votum des türkischen Parlaments gegen eine Stationierung von US-Truppen erheblich erschwert. Regierungsintern werden die Kosten selbst für den günstigsten Fall eines kurzen, siegreichen Blitzkrieges inzwischen deutlich höher kalkuliert, als die bislang öffentlich gehandelten sechzig Milliarden US-Dollar. Damit erhöht sich auch das Risiko für die US-Wirtschaft.
Sollte sich Bush auf den inzwischen hinter den Kulissen des Sicherheitsrates diskutierten Kompromiss* einlassen, könnte er für sich reklamieren, die Uno durch den Aufbau einer militärischen Drohkulisse zum entschlossenen Vorgehen gegen Bagdad bewegt zu haben. Die zahlreichen politischen und militärischen Risiken, die für die USA mit einem Krieg im Alleingang verbunden wären, könnte der Präsident vermeiden. Der Kollaps des Regimes in Bagdad wäre nach einer Entwaffnung des Irak und der Aufhebung der Wirtschaftssanktionen nur noch die Frage einer relativ kurzen Zeitspanne. Es gibt in Washington eine wachsende Zahl von Stimmen – innerhalb wie ausserhalb der Regierung –, die Bush zu einer Kurskorrektur raten.
Die entscheidende Frage der nächsten Tage wird sein, ob sich diese Stimmen noch gegen den Einfluss von Perle, Wolfowitz und Co. durchsetzen können. Es geht darum, Bush eine goldene Brücke zu bauen, die ihm einen gesichtswahrenden Rückzug aus der Sackgasse seiner steilen Kriegsrhetorik erlaubt. Beim Bau dieser Brücke könnten vor allem die erklärten Kriegsgegner unter den Regierungen des «alten Europa» eine wichtige Rolle spielen. Mit rechtzeitigen und deutlichen Signalen, die es Bush erlauben würden, ein Einschwenken auf einen Kompromiss als seinen Sieg zu verkaufen. Diese Kröte zu schlucken, mag vielen schwer fallen, die meinen, Bush habe gar kein Gesicht, dass er wahren könnte. Doch wer der Überzeugung ist, dass der drohende Krieg wegen seiner absehbaren katastrophalen humanitären und politischen Folgen das grösste aller nur vorstellbaren Übel ist und deswegen unter allen Umständen zu verhindern ist – der sollte bereit sein, diese Kröte zu schlucken.
* Der Kompromiss, an dem derzeit gebastelt wird, könnte wie folgt aussehen: Die USA erklären sich mit einer Verstärkung des Inspektionsregimes einverstanden, die Inspektionen werden bis Mai / Anfang Juni verlängert, ein detaillierter Abrüstungsfahrplan wird vereinbart. Dafür würden die drei Vetomächte Frankreich, Russland, China zusagen, dass der Irak bei Nichteinhaltung der Auflagen ohne weitere Beratung im Sicherheitsrat angegriffen werden kann.
Drittes Element wäre die ausdrückliche Zusage, die Wirtschaftssanktionen aufzuheben. Vierter Betandteil eines Kompromisspakets könnte die Stationierung von Uno-Blauhelmen sein, um die Inspektionen gegen etwaige Behinderungen (zu denen es bisher nicht gekommen ist) durchzusetzen. Am delikatesten, weil aus völkerrechtlichen Gründen schwerlich zu vereinbaren, ist das fünfte Element: Die Ablösung Saddams Husseins.