Erika: Die Tankerkatastrophe. Die Schweizer Spur. Die Berichterstattung der WoZ : Sorgfaltspflicht eines Verwaltungsrats

Der Untergang des Öltankers Erika vor zwei Jahren hatte desaströse ökologische und nach wie vor ungeklärte ökonomische Folgen – und ein presserechtliches Nachspiel, das hier seinen Abschluss findet.

Peter Bucheli ist ein grauhaariger Mittvierziger, der das Hemd unter dem schwarzen Kittel ohne Krawatte trägt. Er ist seit 25 Jahren eidgenössisch diplomierter Wirtschaftsprüfer und seit zehn Jahren Inhaber des Treuhandbüros Bucheli Partners AG mit Sitz in Hünenberg (ZG) und einer Filiale in Zürich. Im aktuellen Verwaltungsratsverzeichnis ist er mit 28 Mandaten vertreten, zumeist als Verwaltungsrat mit Einzelunterschrift – den hauptsächlichen Teil seiner Arbeit bezeichnet er als «Unternehmensberatung». Er ist geschieden, hat zwei Kinder und lebt in Hünenberg.

Zu diesem Gespräch, das am 16. November 2001 in Bern stattfindet, ist er gekommen, um seine Rolle im Zusammenhang mit der Tankerkatastrophe der «Erika» und damit die WoZ-Berichterstattung richtig zu stellen (vgl. «Der Vergleich» im Anschluss an diesen Text). Als er sich setzt, legt er sein wichtigstes Arbeitsinstrument, das Handy, neben sich auf den Tisch. Auf die Frage, warum er das Angebot der WoZ angenommen habe und sich hier in der Zeitung exponiere, sagt er: «Was mich interessiert, ist eine Richtigstellung, dass ich im Fall 'Erika' nicht aktiv gewesen bin.»

Verirrung auf der Schweizer Spur

In dieser üblen Geschichte bekennt sich bis heute niemand gern zu einer aktiven Rolle: Am 12. Dezember 1999 sank bei stürmischer See vor der Bretagne der Öltanker Erika, ein alter Kahn, wie berichtet wurde, und die 20 000 Tonnen angeblichen Rohöls, die danach die bretonische Küste zu verschmutzen begannen, seien in Wirklichkeit Raffinierabfälle: Giftmüll, nicht Brennstoff, behauptete ein unabhängiges Laboratorium. Die Rede war von Schäden in der Höhe von einer halben Milliarde Franken.

Klar war, dass der Ölkonzern Totalfina die Ladung dem italienischen Stromkonzern Enel zur Verbrennung in einem Kraftwerk in Milazzo auf Sizilien liefern wollte. Aber wem gehörte das Schiff? Auf der Suche nach der Antwort stiess die WoZ auf die Amarship AG mit Sitz in Hünenberg – eine der Firmen, die von der Bucheli Partners AG betreut wurde. Damit gab es eine Schweizer Spur.

Einziger Verwaltungsrat der Amarship war Peter Bucheli. Weil die Recherchen ergaben, dass dieser daneben auch Geschäftsführer einer «Rob's Metzgerei GmbH» war, wurde die «Erika»-Berichterstattung in der Zeitung schliesslich unter dem süffigen Titel «Das Schiff des Metzgers» lanciert. Das Ungeschickte daran: Peter Bucheli war weder je Metzger noch je Besitzer der «Erika».

«Vom Unglück der 'Erika' und davon, dass die Amarship AG als Broker bei der Vermittlung zwischen den Eigentümern des Schiffs und der Eigentümerin der Ladung vermittelt hat, habe ich im Januar 2000 aus der Presse erfahren», beginnt Bucheli zu erzählen. «Weil mich die Geschäftsleitung der Amarship bis dahin über das 'Erika'-Geschäft nicht informiert hatte, bin ich auf sie zugegangen und habe gefragt, was da gelaufen sei.» Er hat nichts mit dem Geschäft zu tun gehabt? «Meine Funktion war auf treuhänderischer Basis die des einzigen Verwaltungsrats - ich hatte deshalb mit der operativen Führung der Geschäfte nichts zu tun.» Diese wurden von den beiden Direktoren Mauro Clemente und Alessandro Ducci geführt, zwei in Lugano arbeitenden Italienern. Seine Rolle sei jene gewesen, die das schweizerische Recht vorschreibe: Im Verwaltungsrat einer AG muss eine Mehrheit von SchweizerInnen mit Schweizer Domizil Einsitz haben.

Von den beiden Direktoren liess er sich im Januar 2000 darüber informieren, dass die Amarship AG in der Tat den Öltanker Erika des italienischen Reeders Giuseppe Savarese an den Erdölkonzern Totalfina vermittelt habe. Weil Savareses Firma Tevere Shipping Co. Ltd. auf Malta domiziliert sei, sei die «Erika» unter maltesischer Flagge unterwegs gewesen. Bucheli: «Die Vermittlung der 'Erika' war also ein normales Broker-Geschäft.» Weiter sei ihm dargelegt worden, dass die Amarship AG mit der Ladung der «Erika» nichts zu tun habe, weil die Verantwortung des Brokers im Moment der Übernahme des Schiffs durch den Mieter an diesen übergehe.

Aus der Sicht der Broker-Firma lag im Moment der Katastrophe die Verantwortung für die Ladung also bei der Totalfina, jene für das Schiff bei der Tevere Shipping Co. Ltd. In der Verantwortung des Brokers habe zuvor gelegen, abzuklären, ob das Schiff die Inspektionen gemacht habe und demzufolge eine Zulassung vorliege: «Es gibt in Europa nur vier oder fünf Unternehmen, die die Vollmacht haben, solche Zulassungen zu erteilen. Laut meinen Informationen ist für die 'Erika' eine solche Zulassung vorgelegen. Wenn ein solches Dokument vorliegt, muss ich davon ausgehen, dass das Schiff in Ordnung ist – ausser wenn es auf der Leerfahrt zur Destination, wo es vom Kunden übernommen werden soll, Probleme hat und diese Mitteilung an den Broker geht. In diesem Moment hat dieser die Pflicht, das Schiff zu stoppen, sonst hat er eine Teilverantwortung zu übernehmen bei einem späteren Schadenereignis. In Bezug auf die 'Erika' hat mich die Geschäftsleitung informiert, dass es keine solchen Mitteilungen gegeben habe. Mehr kann ich als Verwaltungsrat nicht überprüfen.» Diskutiert werden müsse allenfalls die Sorgfaltspflicht der Zulassungsstelle: «Ich weiss, dass die italienische Zulassungsstelle, die der 'Erika' die Zulassung erteilte, Bestandteil der laufenden Untersuchung ist.»

Der Bruch mit Amarship

Am 16. Juni 2001 haben wir uns zum ersten Mal getroffen. Das war in einem gläsernen Hochhaus neben dem Bahnhof Zug. Bucheli mit Anwalt, die WoZ mit Anwältin. Damals haben wir die Möglichkeiten einer aussergerichtlichen Einigung diskutiert. Bei diesem Treffen sagte Bucheli, er sei Anfang dieses Jahres als Verwaltungsrat der Amarship AG zurückgetreten. Jetzt bestätigt er: «Ich habe meinen Rücktritt eingeschrieben an die Aktionäre geschickt. Innerhalb von zehn Tagen ist daraufhin eine ausserordentliche Generalversammlung durchgeführt und ein neuer schweizerischer Verwaltungsrat gewählt worden.»

Ob der Rücktritt mit der «Erika»-Geschichte zu tun habe? «Vielleicht hat das mitgeholfen, aber es ging um die Geschäftsführung der Amarship im Allgemeinen.» Streit mit den Direktoren? «Am Schluss ja. In der ersten Zeit nach der Gründung, Mitte der neunziger Jahre, lief alles offen. Aber das änderte sich nach und nach. Schliesslich musste ich mir sagen: Wenn ich eine Frage stelle und keine richtige Antwort bekomme, dann muss ich eine Hochrechnung machen, dass irgendwo ein Problem sein könnte. Dann macht meine Sorgfaltspflicht den Rücktritt nötig.»

Aber als Verwaltungsrat habe er doch durchgreifen können? Immerhin liegt zwar die Geschäftsführung bei der Direktion, aber die Oberaufsicht über die Geschäftsführung liegt beim Verwaltungsrat. «Es gab zwei Möglichkeiten», sagt Bucheli, «die Geschäftsführung zu entlassen oder den Aktionären die Position des Verwaltungsrats zur Verfügung zu stellen.» Bucheli hätte demnach die beiden Direktoren entlassen können? «Theoretisch ja. Es gibt aber dem Berufsgeheimnis unterliegende Gründe, warum dies im konkreten Fall nicht möglich gewesen ist», sagt Bucheli.

Warum bin ich eigentlich nicht auch Verwaltungsrat einer solchen Firma geworden?, denkt man als Laie unwillkürlich. Man will von mir vor allem die Schweizer Nationalität und das Schweizer Domizil, und um den operativen Courant normal brauche ich mich nicht zu kümmern. Und passiert wirklich einmal eine üble Geschichte, in deren Folge eine Ölpest an der bretonischen Küste neben dem ökologischen Desaster die Muschelfischer, die Salzproduzenten und den Tourismus ruiniert, dann nehme ich meine Sorgfaltspflicht wahr und demissioniere. – Herr Bucheli, neben der juristischen Ebene gibt es doch auch eine ethisch-moralische! «Zuerst möchte ich festhalten, dass ich nicht weiss, was die 'Erika' genau geladen hatte. Seit ich als Verwaltungsrat zurückgetreten bin, kann ich mich nur noch über die Medien informieren. In Bezug auf die Ladung habe ich von Ungereimtheiten gelesen. Wichtig ist, dass die Substanzen analysiert werden. Sollte eine erhöhte Gefahrenklasse transportiert worden sein, so wären erhöhte Sicherheitsmassnahmen nötig gewesen. Ob das im Fall der 'Erika' so war, weiss ich nicht. Wenn irgendetwas unsauber gelaufen ist, so verurteile ich das. Damit könnte ich auch nicht leben.»

Wozu die WoZ z'Bode bringe?

Womit er wegen der von der WoZ mitverantworteten Angriffe nach der Katastrophe leben musste, stellt er so dar: «Als die Geschichte öffentlich geworden ist, ist sehr schnell mein ganzer Kundenkreis auf mich los – die Meldung hat sich sofort weltweit verbreitet. Ich habe in der Folge Kunden verloren, die misstrauisch geworden sind, mit wem sie es zu tun haben, und ich brauchte danach eine gewisse Zeit, um zu belegen, dass ich in diesem Fall nicht aktiv gewesen bin. Einige Kunden haben sich seither endgültig zurückgezogen, andere konnte ich wieder zurückgewinnen. Ein gewisser Schaden ist geblieben.» Zum beruflichen sei der private Schaden gekommen, die Sprayerei an der Fassade seines Hauses und die Angriffe auf seine beiden Kinder, sieben- und neunjährig: «Sie hatten unter den anderen Kindern zu leiden, die die 'Erika-Geschichte' vermutlich von ihren Eltern oder von Verwandten mitbekommen haben. Wie Kinder eben sind: Auf dem Schulplatz herrscht Krieg.»

Peter Bucheli hätte demnach Gründe gehabt, sich an der WoZ mit einer von den Medien gefürchteten Klage wegen unlauteren Wettbewerbs zu rächen. Tatsächlich habe er eine solche Klage erwogen, sagt Bucheli: «Es war mir bewusst, dass ich die WoZ mit einer gewonnenen UWG-Klage in ernsthafte finanzielle Schwierigkeiten bringen könnte – und die Chancen, zu gewinnen, waren gross. Aber auf der anderen Seite: Was bringts mir, eine WoZ z'Bode z'bringe? Dann gibt es sie nicht mehr, aber unter Umständen innert zwei Stunden in den gleichen Räumlichkeiten unter einem anderen Namen eine neue Zeitung. Was bringt das? Ich kreiere mir einen Feind, der möglicherweise in jeder Minute zu überwachen versucht, was ich mache. Zudem sagte ich mir: Ich will den ganzen Zeitaufwand nicht auf mich nehmen. Ich will lieber fürs Geschäft arbeiten, meine Kunden pflegen und auf dem Markt neue Kunden akquirieren. Im Übrigen: Es ist passiert, für mich ist diese Geschichte Vergangenheit. Wichtig ist, in die Zukunft zu schauen, die Vergangenheit kann ich nicht mehr ändern.»

Der Vergleich

Seit dem Februar 2000 hat die WoZ über den Untergang des Öltankers Erika mehrmals berichtet. Von Interesse waren dabei einerseits die genaue chemische Zusammensetzung der als Rohöl deklarierten Ladung, andererseits die komplizierten Eigentums- und Vertragsverhältnisse und damit Verantwortlichkeiten am Schiff und an dessen Ladung (siehe WoZ Nr. 7/00 sowie 10, 11, 13 und 14/01).

Am 6. April 2001 intervenierte Peter Bucheli über seinen Anwalt bei der WoZ. Dieser setzte eine «Gegendarstellung» durch (siehe WoZ Nr. 16/01) und drohte, «da unserem Klienten belegt Schaden in grossem Ausmasse entstanden ist», auf «unlauteren Wettbewerb» zu klagen. Da die WoZ nach exakter Prüfung der Tatsachen zugestehen musste, in ihrer Berichterstattung Fehler gemacht zu haben, bemühte sie sich in der Folge um eine aussergerichtliche Einigung mit der Gegenpartei. Mit Datum vom 28. Juli wurde eine «Vereinbarung» unterzeichnet, die neben einer symbolischen «Abschlagszahlung» an Bucheli folgende Abmachung enthielt: «Die WoZ verpflichtet sich, über Herrn Peter Bucheli ein ganzseitiges Feature oder Porträt zu veröffentlichen, welches nach journalistischen Grundsätzen verfasst wird und die Falschinformationen (...) richtig stellt. Nach Absprache mit Herrn Peter Bucheli können auch die Auswirkungen der Negativberichterstattung in der Presse zum Gegenstand dieses Beitrages gemacht werden.»

Mit dem Abdruck des vorliegenden Berichts, der von Bucheli integral gegengelesen worden ist, gilt der Vergleich als zustande gekommen, und die «Parteien» erklären sich «als per Saldo aller Ansprüche auseinander gesetzt».