Flick-Collection: Unangemessene Tiefenschärfe
Ein Buch erzählt die Geschichte von Friedrich Flick und seinen Erben. Der Autor geisselt die Schweizer Intellektuellen als unreif.
Im öffentlich ausgetragenen Streit um die Pläne des deutschen Finanzmannes Friedrich Christian Flick, der seine bedeutende Sammlung zeitgenössischer Kunst seit Jahren in einem eigenen Museum zeigen möchte, ist mehrfach von «Sippenhaftung» die Rede gewesen. Aus dem Umstand, dass der Grossvater des Sammlers, Friedrich Flick, 1947 in Nürnberg als Kriegsverbrecher verurteilt worden war, so hiess es, drehe man heute dem Enkel einen Strick. Dabei sei doch der Junge nicht verantwortlich für den Alten, sondern einzig sein persönliches Verhalten zähle. Kunstsammler Flick sprach auch von einer «Geiselhaft», in die seine Bilder genommen worden seien: Als ob jemand diese entführt hätte, um dem Besitzer etwas abzupressen, und er bald mit dem Schlimmsten rechnen müsste.
Flicks Bilder und Objekte sind jedoch nicht gekidnappt worden. In drei Wochen erhalten sie stattdessen in Berlin eine Ausstellungshalle, deren Unterhalt eine staatliche Stiftung bezahlt, während die Kunst im privaten Eigentum verbleibt. Der Regierende Bürgermeister wird an der Einweihung eine Rede halten, vielleicht erscheint unter den Vernissagegästen sogar der Bundeskanzler, und auch ein vom Campus-Verlag auf den Anlass hin publiziertes, von Thomas Ramge verfasstes Buch mit dem Titel «Die Flicks» wird die Festfreude keineswegs trüben: Thomas Ramge hat zwar die wichtigsten Fakten über den Clan, seinen Gründer und dessen Nachkommen zusammengetragen, Neues oder Unbekanntes hat er dabei aber kaum entdeckt. Immerhin lohnt es sich, die Buchkapitel über die Mittäterschaft Friedrich Flicks im Nationalsozialismus zu lesen, über seine Rolle in der Bundesrepublik und über den gigantischen Schmiergeldskandal, für den sein Sohn Friedrich Karl Flick in den achtziger Jahren verantwortlich war.
Zur Vergangenheitsdebatte, die sich seit März 2001 um den alten Flick und die Bilder des Enkels entspinnt, hat Buchautor Ramge leider nur eine Kuriosität beizutragen.
Der Gründer
Friedrich Flick, geboren 1883 in Kreuztal im Siegerland, gestorben 1972 in Konstanz, war zweimal Besitzer des grössten deutschen Privatvermögens. Das erste Mal profitierte Flick unter anderem von der Rüstungskonjunktur des Ersten Weltkriegs, von der Korrumpierbarkeit der Weimarer Republik, vom neuerlichen Rüstungswahn, von der Judenverfolgung, den Raubfeldzügen und den Vernichtungsprogrammen der Nazis.
Flick war eher Börsianer als Unternehmer. Statt Firmen aufzubauen, kaufte er Mehrheiten zusammen, um sie mit anderen Mehrheiten zu kombinieren oder mit Paketzuschlag wieder abzustossen und gegen interessantere Aktien zu tauschen. Er war bekannt für seine persönliche Härte, liess sich von Untergebenen dafür sogar loben. Ausser Bismarck-Biografien und Erich Kästners «Drei Männer im Schnee» las er angeblich nie ein Buch. Als sein Eisen- und Kohlekonzern 1932 vor der Pleite stand, brachte Flick die Reichsregierung dazu, ihm ein Aktienpaket zu weit übersetzten Preisen abzukaufen; so verdiente er Millionen. Vor 1933 bestach Friedrich Flick – wie später sein Sohn in der Bonner Republik – fast alle deutschen Parteien. Nach 1933 half er, die Nazis zu finanzieren. Er wurde «Wehrwirtschaftsführer», war Mitglied im «Freundeskreis des Reichsführers SS», spendete 7,65 Millionen Reichsmark allein für Adolf Hitler, half bei der Erpressung und Enteignung jüdischer Konkurrenten tatkräftig mit und riss sich gigantische Industriekonglomerate in den überfallenen Gebieten unter den Nagel. Er liess Zwangsarbeiter und Häftlinge aus Konzentrationslagern für sich schuften. Es wird von entsetzlichen Szenen in Flicks Fabriken berichtet. Nach der deutschen Niederlage tat der protestantisch gläubige Alte so, als hätte er von all diesen Verbrechen nichts gewusst.
Er zog sich auf ein Landgut zurück, wo US-amerikanische Soldaten den wichtigsten deutschen Industriellen erst fünf Wochen nach der Kapitulation aufstöberten.
Der Wiedergänger
Friedrich Flick hat seine Verurteilung zu sieben Jahren Gefängnis durch ein Militärtribunal in Nürnberg stets als Ungerechtigkeit empfunden: «Ich protestiere gegen die Tatsache, dass in meiner Person Deutschlands Industrielle vor der ganzen Welt als Sklavenausbeuter und Räuber verleumdet werden», sagte der Alte 1947 vor Gericht. Drei Jahre später wurde Flick vorzeitig entlassen, aber bereits aus dem Gefängnis heraus hatte er begonnen, die in Westdeutschland liegenden und daher nicht beschlagnahmten Betriebe wieder zu einem Konzern zusammenzubauen. Die Entflechtungsauflagen der Alliierten nutzte er zur Modernisierung seines Besitzes. Er verkaufte die Kohlegruben, investierte stärker in Chemie (Feldmühle, Dynamit Nobel), Automobilindustrie (Daimler-Benz, Audi) und bald schon wieder in die aufstrebende Rüstung (Krauss-Maffei). Er war ein Vertrauter von Bundeskanzler Konrad Adenauer; er wurde mit deutschen Orden ausgezeichnet. Als in den sechziger Jahren die Jewish Claims Conference bei ihm vorsprach, um für 1300 jüdische KZ-Häftlinge, die seine Fabriken überlebt hatten, eine Summe von bescheidenen 5000 Mark pro Person zu erbeten, lehnte er jede Entschädigung ab.
Mittlerweile hatte Friedrich Flick seinen ältesten Sohn Otto-Ernst aus der Firma geschmissen und mit einem Betrag von 100 Millionen Mark ausbezahlt. Zwei Drittel des Flickvermögens gingen per Familienvertrag an den jüngeren Sohn Friedrich Karl, ein Drittel an die drei Kinder von Otto-Ernst: Gert-Rudolf, Fried-rich Christian und Dagmar, wobei die Enkelin vom Grossvater nur halb so viel erhielt wie der männliche Nachwuchs. Nach dem Tod des Alten und ein paar Jahre vor dem Auffliegen der Flick-Bestechungsaffäre, welche die Republik erschütterte, drängte Friedrich Karl auch die zwei Neffen und die Nichte aus dem Unternehmen. Mit einigen hundert Millionen Mark wurden sie abgefunden.
Der Mäzen
Friedrich Christian Flick, der seit Mitte der achtziger Jahre moderne Kunst sammelt, sagt in Interviews heute gerne, er habe sein Geld «hart erarbeitet». Von der Wirtschaftszeitung «Bilanz» wird er auf 700 bis 800 Millionen Schweizer Franken geschätzt. Tatsächlich hat er sein Vermögen also kräftig vermehrt – das ändert nichts daran, dass sein Startkapital aus den Millionen eines Kriegsverbrechers stammte und dass zum Flick-Konzern gehörende Firmen erst nach dem vergoldeten Ausstieg sämtlicher Nachkommen des Gründers zu Entschädigungszahlungen an ihre Opfer bereit gewesen sind. Das Vermögen der Familie blieb davon ganz unberührt.
Thomas Ramge zieht in seiner Flick-Geschichte diesen Schluss allerdings nicht. Im Gegenteil: Aus der Sicht von Ramge ist die ganze Debatte über die Mitverantwortung der Erben Flicks für die Herkunft ihrer Millionen gegenstandslos und das Resultat einer hysterischen Kampagne, die von der «Süddeutschen Zeitung», der «WOZ» und dem «Tages-Anzeiger» in Zürich angefacht worden sei, als Flick sein Museum hier errichten wollte. Dass es noch schärfere Proteste gegen das neue Projekt in Berlin auch gibt – und dass inzwischen sogar die Schwester von F. C. Flick sich dem Protest öffentlich angeschlossen hat –, ignoriert das Buch.
So kann Ramge mit einer Passage enden, aus der hier zu unserer Belehrung zitiert werden muss, einem rhetorischen Frage-und-Antwort-Spiel angesichts der bevorstehenden Verwirklichung des Flick-Museums: «Hat die Habgier einer bankrotten Kulturmetropole über die Moral einer geschichtsvergessenen Berliner Republik gesiegt? Nein, im Vergleich zu Deutschland ist die Schweiz mit der Aufarbeitung ihrer Geschichte in den Jahren 1933 bis 1945 noch nicht allzu weit gekommen. Zu einem differenzierten Umgang mit der Frage nach historischer Schuld und historischer Verantwortung war die Zürcher Kulturelite nicht fähig. (...) In Deutschland mussten die Kulturschaffenden in der Mehrheit nicht krampfhaft mit einem Bilderstreit unter Beweis stellen, wie gross ihr Wille zur Vergangenheitsbewältigung ist. In Berlin war ein differenzierter Diskurs möglich, der versuchte, der komplexen Familiengeschichte der Flicks gerecht zu werden.»
Deutsche Grossartigkeit, vielen Dank! Die lange Beschäftigung mit seinem Gegenstand hat dem Autor anscheinend aufs Hirn geschlagen.