Flutkatastrophe: «Dem lokalen Wissen anpassen»

WOZ: Nach den Flutwellen ist nun überall die Rede von «Wiederaufbau», an dem sich auch die Deza beteiligt. Das Wort klingt danach, als ob es das Beste wäre, wenn alles wieder so wird wie vorher.
Manuel Flury: Der Wiederaufbau beginnt unmittelbar nach den Noteinsätzen, die möglichst schnell gehen müssen, und führt in die längerfristige Entwick­lungszusammenarbeit. Das Spektrum reicht vom Wiederaufbau der grundlegenden Infrastruktur wie Strassen, Wasserversorgung und Elektrizität bis zum Wiederaufbau einer ganzen Gesellschaft. Gerade Letzteres muss natürlich breit verhandelt werden, das heisst, die Entwicklungszusammenarbeit muss darauf eingehen, wie sich eine Gesellschaft ihren Wiederaufbau vorstellt.

Was macht man, wenn man dabei mit einer undemokratischen Regierung zusammenarbeiten oder gar in einer Bürgerkriegsgegend operieren muss?
Das ist in der Entwicklungspolitik ein immer wiederkehrendes Thema: Wenn man Geld verteilt, verteilt man auch Macht. In der humanitären Soforthilfe geht es um Lebensrettung, die ist bedingungslos. Beim längerfristigen Wiederaufbau muss die Frage, wie gut eine Regierung regiert, ein Thema sein.

Können Sie sich auf so etwas wie Wiederaufbauforschung stützen?
So abstrakt kann man das nicht sagen. Ohne wissenschaftliche Forschung und Austausch wäre die internationale Zusammenarbeit nicht denkbar. Dir Forschung ist bereits in die Nothilfe involviert; so sind Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen an der Identifikation von Leichen beteiligt. Durch eine Kata­strophe kann Forschung auch neues Wissen gewinnen. Die Flutwellen haben gezeigt, dass neue Überwachungs- und Warnsysteme und eine seebebensichere Bautechnik entwickelt werden müssen.

Inwiefern berücksichtigt man dabei die Kultur der betroffenen Menschen, also zum Beispiel ihre Einstellung zum Meer, die wahrscheinlich eine andere ist als unsere?
Das westliche Wissen muss sich dem lokalen Wissen anpassen und darf dieses nicht unterschätzen – so hatten die Menschen auf der Inselgruppe der Nikobaren offenbar ein Sensorium, das sie vor der Welle warnte. Man sollte direkt mit den Leuten Kontakt aufnehmen, die dann verantwortlich sein müssen für die Umsetzung des Wissens.

Manuel Flury leitet die Fachstelle für Wissen und Forschung der Deza (Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit).