Kalifornien: Die volle Wucht der republikanischen Härte

Viele Latinos sind enttäuscht: Trotz einer Mehrheit für Kerry an der Westküste bleibt die USA republikanisch. Illegale MigrantInnen dürfen kaum auf Verbesserungen hoffen.

Minute für Minute wird die Stimmung gedämpfter. «Florida geht an Bush, Colorado auch, nur in Pennsylvania konnte Kerry punkten.» Noch sind die Nachrichten aus dem Osten der Republik nicht endgültig gesichert: Ohio könnte die Sache noch wenden. Also versucht Gewerkschafter Darrel Aranda zu retten, was zu retten ist: «Die Zahlen sagen noch gar nichts aus. Denkt an die letzte Wahl.»

Auch Ernesto Saldana und Corina Benavides geben sich Mühe, die Ergebnisse mit Gelassenheit zu nehmen. Sal-dana schenkt ein nächstes Gläschen Wein ein. Die Mexikanerin Brisa Solis schlägt vor, lieber umzuschalten und Telenovelas zu gucken. Zwischendurch meldet der spanischsprachige Fernsehsender Noticiero T 52 einen weiteren Erfolg für Bush in Colorado. Vor zwei Wochen waren Solis, Saldana und Benavides zusammen zur City Hall von Los Angeles marschiert, um gegen Übergriffe auf illegal in den USA lebende MigrantInnen zu protestieren. Was nun passieren wird, darüber will man an diesem Abend noch nicht nachdenken. Ein Sieg für George Bush wäre jedenfalls für alle hier ein schwerer Rückschlag.

Während Noticiero T 52 bereits den amtierenden zum künftigen Präsidenten kürt, deutet ausserhalb der Wohnzimmer wenig darauf hin, dass an diesem 2. November eine der grössten Wahlschlachten in der Geschichte der USA zu Ende geht. Die Strassen sind leer, die gesamte Bevölkerung von Los Angeles scheint die Prognosen im Privaten vor den Fernsehern zu verfolgen. Die von den DemokratInnen in Hollywood angekündigte Wahlparty dürfte nun ins Wasser fallen.

«Ich gehe nicht wählen, die machen ja eh, was sie wollen», sagt Darells Vater José Aranda. Er ist bereits 1971 von der Halbinsel Yucatan aus Mexiko nach Kalifornien gekommen. Er lebt mit seiner Familie in einem der unzähligen Einfamilienhäuser mit gepflegten Vorgärten, die den Grossraum Los Angeles für MigrantInnen zu einem Sinnbild des American Dream machten. Leute wie ihn wollten beide Seiten in diesem Wahlkampf gewinnen. Und tatsächlich scheinen sich statt sechs diesmal sieben Millionen Latinos an den Wahlen beteiligt zu haben. «Die genaue Zahl werden wir erst Ende der Woche wissen», sagt Erica Bernal, die ehrenamtlich für die Assoziation zur Unterstützung lateinamerikanischer Wähler (Naleo) arbeitet.

Von den rund vierzig Millionen Latinos, die in den USA leben, sind lediglich sechzehn Millionen wahlberechtigt. Der Rest besitzt keine Staatsbürgerschaft oder lebt illegal im Land. Vor vier Jahren konnte der demokratische Kandidat Al Gore 62 Prozent der abgegebenen Stimmen aus dem Latinolager für sich gewinnen, Bush kam auf schwache 35 Prozent. Doch auch hier wird eine eindeutige politische Zuordnung immer schwieriger.

Arnulfo Estéban Arungo sitzt am Wahltag im «Pueblo de Los Angeles» gleich hinter dem Gewerkschaftshaus im Zentrum der Stadt. Der weisshaarige Mann mit dunklem, von der Sonne gegerbtem Gesicht wirkt auf den ersten Blick wie ein kürzlich Zugewanderter. Doch er lebt schon Jahrzehnte in den USA. An seinem Tisch hat er einen kleinen Altar aufgetürmt. Totenköpfe aus Zuckerguss, eine Flasche Rum und knallgelbe Blumen laden die verstorbenen Angehörigen zum Essen ein – ein Brauch, den man zu Allerheiligen Anfang November in ganz Mexiko zelebriert. Wen er wählt? «Ich bin Katholik, und als Katholik muss man Bush wählen», sagt er.

Auf WählerInnen aus dem konservativen Latinospektrum setzte Bush mit seiner Kampagne gegen gleichgeschlechtliche Ehen und gegen die Abtreibung. Einen Zuwachs von fünf Prozent der Stimmen hatte sich Bush so erhofft. Der republikanische Triumph in Florida deutet darauf hin, dass er sein Ziel tatsächlich erreicht hat. Dort gewann Bush, obwohl der Präsident vor wenigen Monaten die Bedingungen für Besuche und Geldüberweisungen von ExilkubanerInnen in die alte Heimat verschärft hatte. Eine Massnahme, die selbst bei strengen Feinden Fidel Castros auf Empörung stiess.

Unter Präsident Bush dürfen sich die illegal lebenden MigrantInnen im Land keine Hoffnung auf eine Verbesserung ihrer Situation machen. Seit dem 11. September 2001 habe sich das Klima sehr verschärft, klagen deren SprecherInnen. Insbesondere in Kalifornien bekamen Latinos die republikanische Härte zu spüren. Kaum im Amt, liess Gouverneur Arnold Schwarzenegger eine Regelung ausser Kraft setzen, nach der auch Menschen ohne Aufenthaltserlaubnis einen Führerschein – und damit ein inländisches Identitätspapier – erwerben konnten. So viel zur «mobilen» US-Gesellschaft.