US-Wahlen: Blut statt Ketchup

Nach dem faktischen Wahlsieg von George Bush geht die neokonservative Revolution in die zweite Runde.

Auf den ersten Blick entbehrt das Ganze nicht einer gewissen Komik. Da steht ein Land praktisch während eines ganzen Jahres im Wahlkampf; beide Seiten bieten zehntausende von WahlhelferInnen auf, stecken je über eine halbe Milliarde US-Dollar in die Auseinandersetzung – und dann am Wahlabend, wenn die Spannung kaum mehr zu überbieten ist, will und will kein klares Resultat herauskommen. Die FernsehmoderatorInnen auf der ganzen Welt müssen Wartezeiten überbrücken, Liveschaltungen zu den angekündigten Wahlpartys zeigen ratlose ReporterInnen, ExpertInnen schwadronieren im Studio derweil um die Wette.

Der US-Präsident gilt als mächtigster Mann der Welt. Das ist Grund genug für das weltweite Interesse. Der Mann befehligt die stärkste und offensivste Armee der Welt, welche im Irak in einen Krieg um strategischen Einfluss und den Zugriff auf wichtige Ölreserven verwi­ckelt ist; dazu kommen noch weitere Einsätze, etwa in Afghanistan. Der US-Präsident entscheidet im schlimmsten Fall über den Einsatz von Atomwaffen. Die USA sind zudem die grösste Wirtschaftsmacht der Welt, bestimmen entscheidend die Politik in internationalen Finanz- und Handelsinstitutionen.

Bis zum Redaktionsschluss ist noch keiner der beiden Kandidaten offiziell zum Sieger erklärt worden. Doch muss wohl als sicher gelten, dass George Bush auch künftig im Weissen Haus residieren wird. Zwar ist es im Bundesstaat Ohio knapp ausgegangen, doch die Chancen seines Herausforderers John Kerry sind nur noch theoretisch. Bushs Vorsprung in Ohio ist einfach zu gross, als dass die Überprüfung von unklaren Stimmen noch Entscheidendes ändern könnte.

Dass es in Ohio knapp würde, wuss­ten beide Seiten. DemokratInnen wie RepublikanerInnen gaben alles, um diesen Staat zu gewinnen. Noch am Wahltag strömten tausende von Kerry-AnhängerInnen aus, um in demokratischen Bezirken die Menschen davon zu überzeugen, dass sie zur Wahl gehen sollten. Die RepublikanerInnen andererseits setzen in letzter Minute vor Gericht durch, dass rund 3500 ihrer Leute in den Wahllokalen stehen und überprüfen durften, ob die Wählenden auch wirklich auf den Wahllisten stehen.

Dass jetzt Ohio von Bush gewonnen wurde, sagt viel über diese Wahl aus: In Ohio sind während der Amtszeit von George Bush rund 180000 Fabrikar­beits­plätze – jeder sechste – verschwunden. Viele dieser Jobs aus der Schwer­industrie wurden in Länder mit tieferen Lohnkos­ten verlagert. Die offizielle Arbeitslosenrate ist in diesem Bundesstaat mit 6 Prozent deutlich höher als der US-Durchschnitt von 4,5 Prozent.

Doch Bush hat es auch in Ohio, wie wohl in allen Gegenden der USA, verstanden, die Bevölkerung nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 in Angst zu halten und sich andererseits, flankiert von vielen unkritischen Medien, als guter Führer im Kampf gegen den Terror in Szene zu setzen.

Zudem hat Bush genützt, dass er konsequent auf die religiöse Karte setzte. In Ohio, wie in weiteren zehn Bundesstaaten, fanden gleichzeitig mit der Präsidentschaftswahl Referenden statt, die gleichgeschlechtliche Ehen auch künftig verhindern wollen. In Ohio war dieses Referendum besonders strikt formuliert, sodass es künftig einem gleichgeschlechtlichen Paar auch nicht möglich sein soll, eine zivilrechtliche Anerkennung zu erhalten. Dieses Referendum – welches wie in allen anderen Staaten angenommen wurde – hat auch die letzten konservativen WählerInnen mobilisiert. Der Katholik Kerry dagegen musste sich von katholischen Bischöfen seine liberale Haltung in der Abtreibungsfrage als Sünde vorwerfen lassen.

Auch wenn das Resultat von Ohio am Schluss so umstritten wäre wie vor vier Jahren dasjenige in Florida: Bush wird aus diesen Wahlen gestärkt hervorgehen. Insgesamt hat er im ganzen Land gegenüber Kerry einen Vorsprung von über drei Millionen Stimmen errungen. Noch viel wichtiger für ihn: Die beiden Parlamentskammern bleiben in republikanischer Hand. Zudem sind die Mehrheit der Bundesstaaten und insbesondere die fünf bevölkerungsreichsten unter republikanischer Führung. Es ist ausserdem abzusehen, dass schon bald ein oder zwei der Obersten Richter – die auf Lebenszeit gewählt werden – ersetzt werden müssen. Bush hat für diese Posten das Vorschlagsrecht. Eine veränderte Zusammensetzung des Obersten Gerichts würde bedeuten, dass sich etwa in der umstrittenen Fragen des Abtreibungsrechts die Machtverhältnisse entscheidend veränderten zuungunsten von Frauen, die abtreiben wollen.

So ist nun mit der Fortführung der neokonservativen Revolution zu rechnen: Die Bürgerrechte werden weiter unter Druck stehen, der nach dem 11. September 2001 verabschiedete Patriot Act wird nicht zurückgenommen. Ausserdem wird Bush das US-Sozial­system in Angriff nehmen und die Altersvorsorge zu privatisieren versuchen. Allerdings ist einzuschränken: In den USA ist das Parlament relativ unabhängig vom Präsidenten, und Gesetzesänderungen verlangen im Senat die Zustimmung einer Mehrheit von 60 zu 40. Über eine solche verfügen die Republikaner­Innen nicht. Ausserdem haben die Wahlen auf der demokratischen Seite diejenigen gestärkt, welche durchaus auch für ausserparlamentarische Proteste und zivilen Ungehorsam zu haben sind. Sie haben eine beeindruckende Kampagne für Kerry getragen. Bush wird sich deshalb möglicherweise schon bald mit einer gestärkten Antikriegsbewegung und neuen Bürgerrechtsbewegungen auseinander setzen müssen.

Doch das ist Zukunftsmusik. In den nächsten Tagen wird Bush die lange geplante Grossoffensive der US-Streitkräfte im Irak auslösen. Bushs Krieg, der inzwischen 100 000 irakische ZivilistInnen das Leben gekostet hat, wird weitergehen. Nach den Wahlen wohl mit noch weniger Rücksicht auf Verluste. So gesehen war dieser Wahlabend eine einzige Tragödie.◊