Frag die WOZ : Gibt es eine politische Mitte?

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«Gibt es eine politische Mitte?»

K. B. per Mail

Das ist eine sehr gute Frage! Und man könnte hier jetzt, so wie wir es in dieser Rubrik üblicherweise tun, ausführlich, fundiert und etwas besserwisserisch erklären, dass es, um die Frage zu beantworten, natürlich zunächst einer Klärung der Begrifflichkeiten bedürfe. Was heisst schon «politisch»? Was «Mitte» und «geben»? Und so weiter.

Lieber an dieser Stelle ein anekdotischer Ausflug in die Gefühlswelt der späten Margaret Thatcher: Auf die Frage nach ihrer grössten politischen Errungenschaft soll sie dem konservativen Politiker Conor Burns an einer Dinnerparty geantwortet haben: «Tony Blair and New Labour.» Die Entscheidung der Labour-Partei also, sich einzumitten und einen «dritten Weg» zwischen Kapitalismus und Sozialismus zu propagieren. 

Wieso verbuchte das Thatcher als Erfolg? Weil diese Hinwendung zu einer vermeintlich rationalen und pragmatischen Politik jenseits von linken und rechten Dogmen letztlich die neoliberale Revolution konsolidierte. So behauptet es jedenfalls die Politikwissenschaftlerin Chantal Mouffe 2018 in «For a Left Populism». Indem sich die Labour-Partei eingemittet hatte, führte sie das neoliberale Projekt weiter – und verhalf ihm damit zum Durchbruch.

Heutzutage ist die Sozialdemokratische Partei der Schweiz in West- und Mitteleuropa eine Ausnahmeerscheinung, insofern als sie – das darf auch mal lobend hervorgehoben werden – erstaunlich links geblieben ist im Vergleich zu ihren Schwesterparteien in Deutschland, Frankreich und Italien etwa, von den skandinavischen Ländern ganz zu schweigen. Als politische Mitte gelten diese ehemaligen Arbeiter:innenparteien natürlich immer noch nicht. Denn (und damit zurück zur eigentlichen Frage) wenn sich die parlamentarische Linke nach rechts bewegt, wie in den genannten Ländern, bewegt sich logischerweise auch die Mitte nach rechts.

Doch es kommt noch bunter. Während in den meisten westlichen Demokratien die Parlamentslinke weiterhin auf Anstand und Kompromiss beharrt, sind die Bürgerlichen – das wiederum gilt nun auch für die Schweiz – in den letzten Jahren in atemberaubendem Tempo nach rechts ausgeschert, wo sie zunehmend schamlos mit Rechtsextremen ins Bett gehen, sodass ihre Gegenüber, die sich doch eigentlich einmal eingemittet hatten, inzwischen wieder als linke Antagonist:innen daherkommen.

Das ganze Theater ist ein erbärmliches Trauerspiel, das augenscheinlich sein Publikum überfordert, namentlich etwa Redaktionen, die sich die politische Ausgewogenheit auf die Fahnen geschrieben haben und deshalb munter die Verschiebung des politischen Koordinatensystems nach rechts mittragen. Dabei taugen Parteien nicht als Fixpunkte einer Weltanschauung. Sinnvoller ist es, sich an Inhalten zu orientieren. Die Partei, die sich in der Schweiz heute als «Die Mitte» bezeichnet, ist die christlich-konservative Partei. Was also im Parlament einigermassen eingemittet daherkommt, ist in der echten Welt meist ziemlich rechts.

Immer montags beantworten wir in der Rubrik «Frag die WOZ» jeweils eine wirklich (un)wichtige Leser:innenfrage. Noch Fragen? fragdiewoz@woz.ch!