Frag die WOZ : Ist Lugano die unsympathischste Stadt der Schweiz?
«Was ist die unsympathischste Stadt der Schweiz, und wieso ist es Lugano?»
P. V., per Mail
Vielen Dank für diese suggestive Frage! Unsympathisch ist vielleicht nicht das genau Gleiche wie unbeliebt, aber laut einer Studie der Universität St. Gallen von 2019 belegte nicht Lugano, sondern Aarau den letzten Platz in einem Beliebtheitsranking. Ja, das ist schon länger her, die Studie wurde offenbar nie wiederholt. Auf Tele M1 findet man noch einen Beitrag dazu. Die Leute, die der Reporter auf den Strassen Aaraus erwischt, können das Urteil fassen, aber nicht verstehen. Nur einer sagt ketzerisch: «Bern dünkt mich fast schöner als Aarau.» Die Fernsehbilder fangen die spätgotischen Hausreihen ein, der Reporter stellt sich vor ein paar Baustellen und so weiter.
Aber Sie haben ja nach Lugano gefragt, einer Stadt, zu der ich keinerlei Bezug habe und über die ich auch sehr wenig weiss. Die einzige Assoziation, die mir zu Lugano kommt, sind rechte Fussballfans, das würde ja schon mal passen. Lugano ist zudem als einzige grössere Stadt in der Schweiz rechts regiert, und wie man im April dieses Jahres in der WOZ lesen konnte, will Lugano – der drittgrösste Finanzplatz nach Zürich und Genf (auch ein Hinweis auf die Sympathie) – zur «Kryptohauptstadt Europas» werden, obwohl die Stadt, auch das kann man da lesen, weit grössere Probleme hat: Einst bevorzugter «Waschsalon» für italienische Mafiaclans und andere reiche Leute, ist sie noch heute geprägt von extremer sozialer Ungleichheit. Viele Superreiche leben hier in einer der einkommensschwächsten Regionen der Schweiz. Und Lugano hat die Lega und Marco Chiesa hervorgebracht.
Der Anruf bei einer Stadtforscherin, die ihren Namen (aus Angst vor den Luganesi?) nicht in der Zeitung lesen will, bringt zudem Klärung darüber, was eine Stadt grundsätzlich unsympathisch macht: «Wenn sie einen nicht willkommen heisst, unzugänglich wirkt, keine guten öffentlichen Räume hat, kein ÖV- und Fussnetzwerk, in dem man sich zurechtfindet, und gleichzeitig arrogant und humorlos damit umgeht.» Lugano könne man all das eigentlich nicht vorwerfen – wenn man aus dem Zug steige, habe man eine krasse Aussicht, ein charmantes Funiculare führe runter ins Städtli, und im See baden könne man auch. Aber, und da liegt wohl der Hund begraben: «Wenn es keine wenigstens winzigen Anzeichen für eine alternative, linke Szene gibt, nützt das einfach nichts.»
Da kommt doch noch eine Erinnerung: Lugano, das ist auch die Stadt, die vor vier Jahren das autonome Kulturzentrum Molino abreissen liess. Mitten in der Nacht, ohne Vorwarnung und ohne gesetzliche Grundlage. Das «Molino» war, wie sich in einer WOZ-Reportage von damals nachlesen lässt, das autonome Herz des Tessins, ein Ort für Konzerte, Filme und Diskussionen, der sich der Profitlogik entzog und an dem auch jene unterkamen, die andernorts keinen Platz fanden. Es war wohl ein weiterer und grosser Schritt zum Titel der unsympathischsten Stadt der Schweiz, der, wie es in dem Text weiter heisst, in den letzten Jahren zunehmend die Bewohner:innen abhandengekommen seien. Klingt schon nicht so gut.
Immer montags beantworten wir in der Rubrik «Frag die WOZ» jeweils eine wirklich (un)wichtige Leser:innenfrage. Noch Fragen? fragdiewoz@woz.ch!