Kosovo: Urteile und Anschläge: Ein Finne auf dem Schleudersitz

Die Lage im Kosovo wird für die internationalen Verwalter und Helfer langsam ungemütlich. Anfang Woche wurde bei einem Anschlag erstmals ein Uno-Polizist getötet.

Der Prozess gegen frühere Kämpfer der kosovo-albanischen Befreiungsarmee (UCK), der Mitte Juli mit vier Schuldsprüchen endete, hat die bereits gespannte Lage im Kosovo weiter angeheizt. Der Hauptangeklagte, Rrustem Mustafa, genannt Remi, war im Krieg Kommandant einer Brigade im Sektor Llap gewesen, zu dem auch Pristina gehört. Ein internationales Gericht, das unter dem Vorsitz eines britischen Richters tagte, verurteilte ihn zu siebzehn Jahren Gefängnis. Remi ist für den Mord an fünf Albanern und das «illegale Festhalten» dutzender serbischer und albanischer Zivilpersonen während des Krieges von 1998 bis 1999 verantwortlich. Für viele AlbanerInnen ist der Verurteilte nach wie vor ein Held, und sie verdächtigen die internationale Verwaltung des Kosovo, zum Nachteil der Kosovo-AlbanerInnen mit verschiedenen Ellen zu messen, um die serbische Gemeinschaft zu beruhigen und sich das Wohlwollen Belgrads zu sichern.
Nach dem Prozess erschütterten mehrere Anschläge die Provinz, die sich gegen die internationale Polizei und Justiz richteten. Am 20. Juli wurde eine Granate auf das Gebäude eines Bezirksgerichts gefeuert. Eine Minute später beschädigte eine Explosion vor einer Polizeistation ein Auto der Uno-Polizei. Am 24. Juli kam bei einem Bombenanschlag auf das Polizeikommissariat in der geteilten Stadt Mitrovica ein Mensch ums Leben. In der Nacht auf letzten Montag wurde erstmals ein Uno-Polizist getötet. Unbekannte Heckenschützen schossen im Norden des Kosovo auf seinen fahrenden Wagen.
Die gewalttätigen Reaktionen auf den Prozess gegen die «Llap-Gruppe» zeigen, dass sich der Graben zwischen der internationalen Verwaltung und der Mehrheit der kosovo-albanischen Bevölkerung nicht schliesst, sondern im Gegenteil immer breiter wird. Die Menschenrechtlerin Natasa Kandic, die sich mit ihrem Kampf für die in Serbien inhaftierten Kosovo-AlbanerInnen einen Namen machte, hat die albanische Gesellschaft dazu aufgerufen, sich ihren «Gespenstern zu stellen». Sie weist darauf hin, dass es keinen Konsens darüber gibt, was Gerechtigkeit ist. Tatsächlich hat die internationale Justiz im Kosovo mehrere schwere Strafen aufgehoben, zu denen albanische Richter Serben in nachlässig geführten Prozessen verurteilt hatten. Gleichzeitig verurteilten internationale RichterInnen ehemalige kosovo-albanische Kämpfer. Für viele Kosovo-AlbanerInnen kommen diese Bemühungen, frühere Rebellenführer zur Verantwortung zu ziehen, einer «Kriminalisierung des Befreiungskampfes der UCK» gleich. So jedenfalls drückte sich der Rat zur Verteidigung der Menschenrechte und der Freiheit in Pristina kürzlich aus – eine Organisation, die sich mit der Genauigkeit ihrer Untersuchungen einen guten Ruf erworben hat.
Der Dialog über die Zukunft des Kosovo ist blockiert. Der EU-Gipfel in Thessaloniki im Juni hatte zwar bestätigt, dass Belgrad und Pristina einen direkten Dialog führen sollen. Die beiden Seiten haben aber sehr verschiedene Vorstellungen davon, wie dieser Dialog aussehen soll. Die albanischen Politiker lehnen jeglichen Kontakt mit Belgrad ab, der sich nicht unter der Ägide der «internationalen Gemeinschaft» abspielt und bei dem es nicht um den endgültigen Status des Kosovo geht. Sie wollen ausschliesslich die Modalitäten der Entlassung in die Unabhängigkeit diskutieren. Belgrad hingegen will konkrete technische Fragen diskutieren, um die Beziehungen mit der Provinz normalisieren zu können. Die serbischen PolitikerInnen scheinen mehr und mehr zu glauben, dass die Zeit auf ihrer Seite ist und die Unabhängigkeit in immer weitere Ferne rückt.
Internationaler Druck, so befürchten mittlerweile führende kosovo-albanische Politiker, könnte sie dazu zwingen, in eine Art Konföderation mit Serbien einwilligen zu müssen. Das aber würde bedeuten, das Ziel der Unabhängigkeit aufzugeben. Der ehemalige UCK-Kommandant und Führer der Allianz für die Zukunft des Kosovo, Ramush Haradinaj, richtete Ende Juni eine Warnung an die Europäische Union: «Herr Solana, der Kosovo ist nicht Montenegro», schrieb er in Anspielung auf das neue Staatsgebilde auf dem Balkan, die Union Serbien und Montenegro. Der Finne Harri Holkeri, der neue Chef der Uno-Verwaltung im Kosovo, steht vor einer schier unlösbaren Aufgabe: Er muss versuchen, eine Autonomie zu entwickeln, die niemand will, und einen Dialog in Gang zu bringen, von dem die Teilnehmer völlig verschiedene Vorstellungen haben.
Erschwerend kommt hinzu, dass sich die Lage im Presevo-Tal in Südserbien und in Mazedonien verschärft hat. Die Abkommen von Frühling und Sommer 2001 hatten die Entwaffnung der dortigen albanischen Guerilla zur Folge. Doch die Lebensbedingungen der dort ansässigen Menschen haben sich seitdem nicht verbessert, und viele der Vorgaben der Abkommen blieben Buchstabe. Neue Gewalt ist nicht auszuschliessen, auch wenn nach wie vor unklar ist, über welche Mittel die neue albanische Guerilla, die Albanische Nationalarmee (AKSh), tatsächlich verfügt. In der Region Presevo häufen sich zurzeit die Graffitis, die die AKSh unterstützen. Die lange schattenhaft agierende AKSh wurde kurz vor Ostern vom damaligen Uno-Verwalter, Michael Steiner, zur Terrororganisation erklärt, nachdem bei einem Anschlag auf eine Eisenbahnbrücke im mehrheitlich serbisch besiedelten Norden des Kosovo zwei AKSh-Mitglieder ums Leben gekommen waren. Die AKSh betreibt eine Website, die in der Schweiz registriert ist, und sammelt Geld von ihrer Basis im Kanton St. Gallen aus.
Falls tatsächlich noch mehr ehemalige UCK-Kämpfer gerichtlich belangt werden, ist nicht auszuschliessen, dass radikal gesinnte Kosovo-Albaner auf eine neue Untergrundarmee setzen, um den politischen Prozess zu lähmen. Harri Holkeri muss viel Entschlossenheit und Geschick beweisen, um nicht ebenfalls vorzeitig aus dem Amt zu scheiden, wie das schon seine Vorgänger, der Deutsche Michael Steiner und der Däne Hans Haekkerup, getan haben.