Ledergerber in Aktion: Geheimer Vertrag

Die Stadt Zürich kämpft um jede neue Wohnung – auch wenn sie 10 000 Franken pro Monat kostet.

An schöner Hanglage direkt über dem Zürichsee liegen eine Villa und drei dazugehörige Lagerhäuser, von wo die Getränkehandelsfirma Ulmer & Knecht während gut hundert Jahren ihr Geschäft betrieb. Auf diesem Gelände, das unterdessen für 15 Millionen Franken den Besitzer gewechselt hat, plant die Rentenanstalt/Swiss Re eine Neuüberbauung von acht dreigeschossigen Einzelbauten. Eine Neuüberbauung, wie sie in Zürich im Zuge des Immobilienbooms nicht aussergewöhnlich ist - wäre da nicht ein geheimer Vertrag zwischen Grundbesitzer und dem zuständigen Stadtrat Elmar Ledergerber. Bei der Ausarbeitung ihres Rekurses wurde den AnwohnerInnen von verschiedenen Seiten bestätigt, dass Stadtrat Ledergerber eine Abmachung mit der Rentenanstalt getroffen habe, die sich aus drei Punkten zusammensetze: 1. Ulmer & Knecht zieht den Rekurs gegen die Unterschutzstellung einer Scheune an der Flühgasse zurück. 2. Der Bauherr verpflichtet sich zu einem Wohnanteil von 20 Prozent beziehungsweise 1000 Quadratmeter (laut Bauzonenordnung ist hier kein Wohnanteil zwingend). 3. Im Gegenzug verzichtet Ledergerber auf eine weitere Überprüfung der Schutzwürdigkeit der Villa Ulmer.

Diese Villa wurde 1986 nicht in das Inventar der schützenswerten Bauten aufgenommen. Weil aber die Zürcher Stadtregierung befugt ist, im Rahmen von Neubauprojekten weitere Bauten als schützenswert in das Inventar aufzunehmen, wäre es an Ledergerber gewesen, die Unterschutzstellung der Villa Ulmer zur Diskussion zu stellen – dies zu unterlassen, verpflichtete er sich aber im Rahmen der Abmachung. Weiter brachten die RekurrentInnen in Erfahrung, dass Ledergerber mit einer Weisung an alle Stellen, die in das Baubewilligungsverfahren und die Abbruchbewilligungen verwickelt waren, verfügt habe, weitere Überprüfungen zu unterlassen. Den zuständigen Leuten sei insofern also ein Maulkorb verpasst worden.

Kompetenzüberschreitung

Existiert dieser Vertrag wirklich, und wie muss er eingeschätzt werden? Am 3. Oktober 2001 wollte Ledergerber gegenüber dem «Tages-Anzeiger» noch «nicht von einem Vertrag sprechen». Unterdessen leugnet niemand mehr die Existenz einer schriftlichen Abmachung – gegenüber der WoZ wurde die Existenz des Dokuments mehrfach bestätigt. Auf die Forderung nach Einsicht in den Vertrag – mit dem Hinweis, dass man ansonsten annehmen müsse, es gehe etwas nicht mit rechten Dingen zu – bekam die WoZ sowohl vom Hochbaudepartement als auch von der Rentenanstalt einen Korb. Man bestätigte zwar die ersten zwei Punkte - das Entgegenkommen der Stadt wurde aber nicht kommentiert. Zur Frage der nachträglichen Prüfung der Schutzwürdigkeit einer Liegenschaft sagt Ledergerber gegenüber der WoZ, «dass damit wohl die Bauherren schikaniert werden könnten, dies aber sicher nicht seine Absicht» sei.

Neben dem genauen Inhalt des Vertrages bleibt auch anderes unklar. Nadja Herz, die Rechtsanwältin der AnwohnerInnen, vermutet, dass Ledergerber seine Kompetenzen überschritten hat: «Die Kompetenzüberschreitung liegt darin, dass er die Zusicherung gegeben hat, ohne dass eine Schutzabklärung gemacht wurde. Skandalös an der Sache ist - und ich habe viel mit solchen Fällen zu tun -, dass man offensichtlich irgendwelche Abmachungen getroffen hat, die mit dem Gesetz nicht verträglich sind.»

Der Rentenanstalt schien die Villa Ulmer von Anfang an im Weg zu stehen: Zuerst fragte sie bei der Stadt an, ob man frühzeitig abreissen könne. Dann wurde der Heimatschutz erst wenige Tage vor Baueingabe über das Projekt informiert. Dann wurden in der Presse mehrfach Falschmeldungen verbreitet. Und zu guter Letzt drohte man den AnwohnerInnen mit einer Schadenersatzklage, falls sie rekurrieren würden. Für Rechtsanwältin Herz ist diese Drohung völlig absurd. «Bei Baurekursen handelt es sich um ein demokratisch legitimiertes Recht der Nachbarn, sich gegen Bauvorhaben zu wehren. Wenn dies Schadenersatzansprüche auslösen würde, würde sich ja niemand mehr getrauen zu rekurrieren.»

Grundlegende Kritik an Ledergerbers Austricksen der Denkmalpflege kommt aber auch von anderer Seite. Ein Mitarbeiter des Hochbaudepartements stellt gegenüber der WoZ fest, dass die Denkmalpflege an Autonomie verloren habe, was an der politischen Leitung liege. Dies habe sowohl positive als auch negative Auswirkungen: Einerseits sei die Zusammenarbeit im Amt für Städtebau besser geworden, andererseits werde man im Zweifelsfall immer überstimmt, da der Chef ein Planer sei – und diese Auseinandersetzungen gingen nicht immer sauber vor sich. Zur Haltung Ledergerbers gegenüber der Denkmalpflege meint die Kontaktperson: «Die interessiert ihn wenig.»

Acht Maisonette-Wohnungen

Peter Angst vom Stadtzürcher Heimatschutz kritisiert, dass die Behörden in den meisten Fällen direkt mit den BesitzerInnen eine Einigung träfen, ohne den Heimatschutz beizuziehen. «In der Ära Koch lief es zu unseren Gunsten, jetzt hat sich die Situation verändert. Heute haben wir im Stadtrat eine Abbruchfirma.» In der Tat sank die Zahl der jährlich unter Schutz gestellten Gebäude von durchschnittlich 35 unter Ursula Koch auf heute 18. Dies, obschon sich nach Ansicht von Jan Capol, dem Leiter der Denkmalpflege der Stadt Zürich, «in Bezug auf die Unterschutzstellung praktisch nichts geändert» hat.

Aber immerhin hat Ledergerber auf dem Ulmer-&-Knecht-Areal einen Wohnanteil von 20 Prozent ausgehandelt. Die Abmachung sorge dafür, hat er denn auch verlauten lassen, «dass auf diesem tollen Areal Wohnungen gebaut werden können». Sowohl Stadtpräsident Josef Estermann als auch Ledergerber lobten darüber hinaus die Quartierbezogenheit des Projekts. Ob die acht Maisonette-Wohnungen, die die Neuüberbauung vorsieht, im Sinne des Legislaturziels «10 000 Wohnungen in 10 Jahren» sind, bleibt dahingestellt. Nach Angaben eines Mitarbeiters der Rentenanstalt seien die Luxuswohnungen innerhalb einer Stunde «an sehr bedeutende Persönlichkeiten der Rentenanstalt» vergeben gewesen – Kostenpunkt pro Wohnung: monatlich zwischen 8000 und 11 000 Franken. Die Pressestelle der Rentenanstalt mochte diese Beträge nicht bestätigen. Wenn die Stadträte die Quartierbezogenheit der Neuüberbauung gerühmt haben, müssen sie die Nähe zur Goldküste gemeint haben.