Malta: Das Feld des Dschihad-Kämpfers

Die katholische Bastion Malta hat arabische Fundamente. Wäre das Land besser der Arabischen Liga beigetreten als der Europäischen Union?

Sicher, MuslimInnen und ChristInnen beten zum gleichen Gott. Aber Katholiken, die zu «Alla» beten? In Maltas zahllosen Kirchen wird tatsächlich Alla gepriesen, sein Name findet sich auch in religiösen Inschriften an den Kirchenwänden. Allah ist der arabische Name für Gott. Auch sonst tönt Maltesisch wie Arabisch. Und Maltesisch ist Arabisch. Die maltesische Sprache ist ein arabischer Dialekt, den die MalteserInnen mit dem lateinischen Alphabet schreiben. Nun definiert sich der arabische Raum vorab über die gemeinsame Sprache. Ist Malta also das erste arabische Land in der EU?

«Diese Frage hören hier viele Leute nicht gerne», sagt Adrian Grima, querdenkender Uni-Dozent. Und viele MalteserInnen mögen nicht einmal anerkennen, dass Maltesisch ein Dialekt des Arabischen ist. Man spricht lieber von «phönizisch, versetzt mit vielen arabischen Fremdwörtern», aber eben auch englischen und italienischen Lehnwörtern.

Die Mittelmeerinsel Malta war jahrhundertelang an der Front des Kulturkampfes zwischen Christentum und Islam, war eine von den Kreuzfahrern errichtete antiislamische Festung im Mittelmeer. Die Ritter und ihr Katholizismus merzten die letzten Spuren des Arabischen im kollektiven maltesischen Bewusstsein aus. «Die Lebenslüge Maltas besteht in der Behauptung, die Insel sei von Paulus missioniert und seither ohne Unterbruch von Christen bewohnt worden», sagt Godfrey Wettinger, emeritierter Professor der Universität Malta. Die ChristInnen hätten also auch die muslimisch-arabische Besetzung der Insel überlebt, die ab etwa 870 bis ins Jahr 1090 dauerte. «Dafür gibt es keinen einzigen Beleg», sagt Wettinger. «Im Gegenteil: Alles weist darauf hin, das nur noch Muslime auf Malta gelebt haben.» Wettinger lehrt seit über dreissig Jahren an der Universität. Durch die Beschäftigung mit der Sklaverei begann er, sich mit der arabischen und muslimischen Präsenz auf Malta auseinander zu setzen.

Der zweite Teil der maltesischen Lebenslüge: Im dreizehnten Jahrhundert seien die AraberInnen allesamt von der Insel vertrieben worden. «Auch das kann nicht stimmen», sagt Wettinger. Vermutlich mussten sie nur, wie etwa auch in Sizilien, mit der Zeit ihren muslimischen Glauben ablegen. Sich taufen lassen oder vertrieben werden, war schliesslich die Wahl – und wie viele Menschen geben Hab und Gut auf, wenn sie sich stattdessen oberflächlich zu einer anderen Religion bekennen können?

«Heute müssen die Archäologen und Historiker das akzeptieren, doch die meisten vermeiden das Thema einfach», sagt der 74-jährige Wettinger, der zeitweise die historische Fakultät der Universität von Malta leitete. «Ich insistiere und komme mir vor wie der Junge, der den Kaiser nackt zeigt. Das machte mich 'kontrovers'.» Und kontrovers heisse in Malta: Man kann ihm nicht trauen. «Akademisch bin ich sicher nicht kontrovers, sondern nur für jene ungebildeten Leute, die lieber traditionellen Erzählungen anhängen und ihr Wissen aus religiösen Sermonen beziehen. Doch selbst die Politiker, die mir privat Recht geben, trauen sich nicht, öffentlich zu mir zu stehen.» Doch warum will Malta von der eigenen arabischen Geschichte nichts wissen? Wegen der Religion, meint Wettinger, und aus Rassismus. «Der Klerus schüchtert die Menschen ein: '… sonst wirst du nicht auf dem Friedhof begraben, sondern endest auf einer Müllhalde'.»

Wohin gehört Malta also: zu Europa oder zu Arabien? «Meinen Studenten sage ich oft: Wir sind von allen Arabern die europäischsten, noch vor Libanon und Tunesien. Doch im Ernst kann man heute nicht mehr sagen, dass wir Araber sind.» Die Reihenfolge, in der Wettinger die Gründe dafür aufzählt, ist bemerkenswert:
– Die Araber zählen Malta nicht zur arabischen Welt.
– Die Malteser sehen sich selbst nicht als Araber.
– Die Malteser sind keine Muslime.
– Maltesisch ist kein klassisches Arabisch, sondern eine Umgangssprache, die – im Gegensatz zu den anderen arabischen Dialekten – auch geschrieben wird.
– In Malta wird die lateinische Schrift verwendet.
– In Malta gibt es nicht das geringste Interesse an arabischer Literatur.

Am deutlichsten wird das arabische Erbe in den Ortsnamen: Die Städtchen heissen beispielsweise Mdina, Marsa und Zejtun. Wettinger erforschte die Herkunft der Orts- und Flurnamen. Er fand etwa 700 arabische Namen in Malta, inklusive zwei von Mohammeds Frauen. Ein Feld in Malta heisst gar heute noch Mudschahid – Dschihad-Kämpfer! Diese Namen entstanden nicht aus romantischen Gründen, wie Sonnenberg oder Regensdorf, sondern sie bezeichneten die Besitzverhältnisse: Das Feld des Mudschahid. 700 heute noch verwendete Namen aus einer Zeit, die in Malta völlig ignoriert wird.

Malta lässt sich nicht so einfach einordnen: Man grüsst mit dem arabischen «Merhaba» und verabschiedet sich mit «Ciao». Die Häuser sehen aus wie in einer arabischen Stadt, mit Erkern, hölzernen Vorbauten und flachen Dächern, in engen Gassen – aber sie stammen nicht aus arabischer Zeit, sondern wurden lange danach gebaut, der Stil wohl geprägt von den Eindrücken der Kaufleute, die vor allem in der arabischen Welt unterwegs waren. Und doch ist die Ähnlichkeit auch heutiger Bauten mit der nordafrikanischen Architektur kein Zufall: Flachdächer sind in Malta Vorschrift, das Gesetz erlaubt nur für Industriebauten ein schräges Dach. Privat, unter Vertrauten, gesteht man sich eine Verwandtschaft mit den AraberInnen schon zu. Nach einem Tunesienbesuch etwa: «Dort sieht es ja aus wie bei uns.»

AraberInnen aber sind auf Malta Fremde. Eine arabische Bankerin, die seit ein paar Jahren auf Malta lebt, schimpft: «Sie kämpfen heute noch den Krieg Kreuz gegen Halbmond, und sie leben glücklich damit.» Nach Malta zu kommen war für sie ein Schock: «Ich lebte plötzlich in einer historischen Kapsel, fühlte mich umgeben von intellektueller Amnesie. Ausserdem bin ich als Frau wohl befreiter als die durchschnittliche Malteserin.» Sie spricht von einem regelrechten Hass auf die Araber, vor allem auf die Libyer. «Aber die Libyer sind auch selber schuld daran. Während des Ölbooms der siebziger Jahre kamen sie mit der Haltung nach Malta: 'Hier können wir Frauen belästigen, und es ist sowieso alles käuflich.' Manche junge Malteserin wurde schwanger und musste dann sehen, dass ihr libyscher Freund noch zwei, drei andere Freundinnen hatte. Und dann schlägt er sie auch noch.»

Andere arabische Dialekte verstehen die MalteserInnen kaum. Eine syrische Touristin erzählt, sie habe es im Hotel mit Arabisch versucht – keine Chance! «Ich hingegen verstehe Malteser ja, wenn sie langsam reden.» Und ein Libanese, der schon dreissig Jahre hier lebt, antwortet: «Das Schönste ist, dass sie sagen: 'Ihr Araber sprecht ja wie wir!'»

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