Durch den Monat mit Johannes R. Millius und Daniel Blatter (Teil 2) : Wo kann man im Wallis überhaupt auftreten?

Nr. 2 –

Weil es in ihrem Kanton kaum eine Alternativszene gibt, fühlten sich die Kulturschaffenden Daniel Blatter und Johannes R. Millius in ihrer Jugend manchmal sehr allein. Mittlerweile haben sie ihre Nischen gefunden – notfalls spielt man halt auf dem Pürumärt.

Johannes R. Millius und Daniel Blatter
«Das Kulturangebot im Wallis ist schon sehr beschränkt und alles andere als niederschwellig» – «Im ‹Moshpit› in Naters gibts Metal und Punk»: Johannes R. Millius und Daniel Blatter.


WOZ: Herr Millius und Herr Blatter, Sie haben grossen Aufwand betrieben, um ein abendfüllendes Stück zu schreiben und aufzuführen, das man nur in einer winzigen Region der Schweiz versteht. Ausserhalb des Oberwallis wäre nicht nur die Sprache eine Hürde, sondern auch die vielen Anspielungen auf regionale Pfarrer, Treuhänder und Politiker:innen.

Johannes R. Millius: Als wir anfingen, das Programm «Einfach mal die Messe halten» zu schreiben, dachten wir nicht darüber nach, wo es landen wird. Unsere Grundmotivation ist ganz trivial: Wir wollen unterhalten. Es gibt im Oberwallis sonst niemanden, der Kabarett mit lokalen Inhalten macht. Wir haben einfach Spass daran – wir schreiben gern, wir haben Freude am Musikalischen und am Wort. Da ist es für uns sekundär, ob wir damit auf grosse Tournee gehen oder nicht. Wir haben beide noch Brotjobs, das gibt uns diese Freiheit. Was nicht heisst, dass es künftig immer so sein muss – wir würden sehr gern mal in Bern in der «La Cappella» spielen!

Vieles in diesem Stück wäre woanders unverständlich, zum Beispiel «Das Evangelium nach Albert Bass», wo sich Gott persönlich in die Politik der Oberwalliser Mitte-Partei einmischt …

Millius: Stimmt, das funktioniert nicht in Bern. Andererseits gibt es ja auch ausserhalb des Wallis Personen mit ähnlichen Rollen. Man müsste es einfach überarbeiten.

Aber auch die ganzen Anspielungen auf den katholischen Gottesdienst – hier lachen die Leute, weil sie das so gut kennen. Das wäre in Bern nicht so.

Millius: Absolut. Aber wir haben Bekannte, die nicht aus dem Wallis kommen und das Stück aus anderen Gründen amüsant fanden. Vielleicht sollten wir in katholischen Kantonen anfangen, Luzern oder Freiburg … Dass man Weihrauch riecht, wenn man reinkommt, hat bei vielen schon ein Flashback ausgelöst.

Daniel Blatter: Und die Glocken.

Millius: Ja, die sind auch etwas, das mich nachhaltig hässig macht.

Die Glocken?

Millius: Ja. Am Sonntagmorgen. Sehr. Ich wohne in Bümpliz neben einem Glockenspiel.

Wie ist Ihr Duo entstanden?

Millius: Wir kennen uns schon lange – seit ich etwa sechzehn war.

Blatter: Ich habe dich mal Texte zum Thema Wallis vorlesen gehört, im «Stockalper».

Millius: Stimmt. Und du machst ja schon ewig lang Musik. Irgendwann fingen wir an, einander Whatsapp-Nachrichten zu schicken mit Wortwitzen, die wir lustig fanden. Dann traten wir mal im kulturellen Adventskalender auf. Stefanie Ammann und Jonas Imhof organisieren ihn, sie ist Schauspielerin und er Musiker. Das sind Slots von je 45 Minuten im Dezember. Das machten wir zwei- oder dreimal, das letzte Programm, «Sagenhaftpflicht», bauten wir dann noch aus.

Wie geht man vor, wenn man im Wallis jung ist und Kultur machen will? Gibt es überhaupt Alternativkultur? Wo spielt zum Beispiel eine junge Punkband?

Blatter: Im «Moshpit». Das ist ein Club in Naters für Metal und Punk. Das gibts schon.

Millius: Aber das Angebot ist schon sehr beschränkt und alles andere als niederschwellig. Es gibt im Wallis keine Slam-Poetry-Szene, man kann sich nicht einfach mal auf eine offene Bühne stellen und etwas ausprobieren, sondern muss gleich einen ganzen Abend füllen. Davor hatten wir Angst. An Slam-Abenden in grösseren Städten finden auch Dinge statt, wo du merkst: Das funktioniert jetzt nicht, aber es ist nicht tragisch, auch nicht für die Person, die es macht. Hier im Wallis bist du schnell sehr klar gescheitert. Da braucht es schon viel Initiative und Selbstbewusstsein, um aufzutreten.

Wo sind Sie denn aufgetreten, bevor es das Duo gab?

Blatter: Ich habe auch Coverbands, mit denen kannst du fast überall spielen. Und mit meiner Band Blatterhorn zum Beispiel im Kellertheater Brig, am Rhonefestival … oder auch auf dem Pürumärt in Visp.

Millius: Ich hatte mal einen Auftritt beim Katholischen Bibelwerk – man muss halt nehmen, was kommt.

Die fehlende Szene kann schon ein Grund zum Auswandern sein, oder?

Blatter: Ja, ich wäre sehr froh gewesen, wenn es in meiner Jugend eine Alternativszene gegeben hätte. Ich machte die Lehre bei der Lonza, fühlte mich sehr anders und sehr allein. Es wäre schön gewesen, sich in einer Community zu sehen und wertgeschätzt zu fühlen.

Warum sind Sie bis heute geblieben?

Blatter: Ich bin halt doch hier vernetzt, habe meine Jobs hier. Aber ich arbeitete fünf Jahre in Bern in einem Brockenhaus – weil ich im Wallis keine Teilzeitstelle fand.

Millius: Mutter sein ist der einzige legitime Grund, im Wallis Teilzeit zu arbeiten. Von den Vätern spricht keiner.

Blatter: Richtige Männer arbeiten nicht Teilzeit!

Millius: Privilegiertes Gejammer, Männer werden diskriminiert … Aber es zeigt halt, wie weit das Wallis bei solchen Fragen ist.

Johannes R. Millius (32) leitet den Teaterverlag Elgg, der heute in Belp bei Bern zu Hause ist. Daneben ist er selbstständiger Kulturproduzent. Daniel Blatter (44) ist Gitarrenlehrer und Kinooperateur in Brig. Gemeinsam treten sie als Duo Wort + Totschlag auf.