Pop : Sich einfach mal wohlfühlen
Der Mann ist verwirrt – einmal ist er ein bisschen verliebt, ein andermal ein bisschen verunsichert: «Ich weiss, was ich kann / Trotzdem ab und an / Komm’n Zweifel daran». Aber es ist nicht so schlimm: Drei Tage ans Meer «und ich weiss wieder, wer ich bin». Das ist keine Parodie auf um sich selbst kreisende Männlichkeit – undenkbar, wenn es Henning May ist, der hier singt. Humor, das wäre für einen wie ihn schon fast Gewaltanwendung. May hat einen Trick: Weil seine Stimme für sein Jungengesicht erstaunlich rau klingt, fällt vielen oft nicht auf, wie hohl seine Texte sind. Sie handeln von Männern, die sich einfach wohlfühlen wollen, sich nach ihrer Kindheit in Köln zurücksehnen, Erdbeerkuchen mögen, deren Leben nach einer Trennung «okay» ist. Männer, die Frauen dafür schätzen, wenn sie widersprechen, und ihnen gut zureden: «Katharina, ich glaub’ an dich». Henning May ist der verkörperte Irrtum, dass melancholische Männlichkeit etwas Freundliches ist.
May ist der Sänger der erfolgreichen deutschen Band Annenmaykantereit, die gerade ein neues Album veröffentlicht hat: «Es ist Abend und wir sitzen bei mir». Was sich sicher sagen lässt: Die Band bleibt sich treu. Sprich, sie kultiviert unbeirrbar ihr blutleeres Biedermeier, zelebriert ihre pastellfarbene Unlust an allem, was irgendwie überwältigend oder umwerfend ist. (Kein Wunder, fand die Band auf einem unterirdischen Album namens «12» viel melancholische Lust an der Pandemie.)