Provinzwahlen in den Niederlanden: Hoffen auf einen linken Frühling

Nr. 11 –

Im Vorfeld der Provinzwahlen näherten sich Sozialdemokrat:innen und Grüne an. Ist eine Zusammenarbeit der Schlüssel, um die neoliberale Dominanz zu beenden?

GL-Frak­tions­chef Jesse Klaver und Attje Kuiken, Fraktionschefin der PvdA, an einer Veranstaltung in Middelburg
Träumen vom gemeinsamen linken Wahlsieg: GL-Frak­tions­chef Jesse Klaver und Attje Kuiken, Fraktionschefin der PvdA, an einer Veranstaltung in Middelburg. Foto: Robin Utrecht, Keystone

«Der rote Kampf für eine gerechte Gesellschaft und der grüne Kampf für eine nachhaltige Gesellschaft sind ein und derselbe.» Das verkündeten zahlreiche prominente Mitglieder der niederländischen sozialdemokratischen Partij van de Arbeid (PvdA) und der Partei GroenLinks (GL) im Frühling 2022 in einem offenen Brief. Dessen Tenor: Da die beiden linken Parteien «Schulter an Schulter im Kampf gegen Ungleichheit, Ausgrenzung, das Recht des Stärksten und die Klimakrise» ständen, sei es an der Zeit, die Kräfte zu bündeln. Das Land könne sich «nicht noch mehr Jahre rechter Macht und linker Gespaltenheit» leisten. Der erste Schritt der Zusammenarbeit sollte eine gemeinsame Fraktion im Senat sein – der ersten Parlamentskammer, deren Zustimmung bei neuen Gesetzesprojekten unerlässlich ist.

Knapp ein Jahr später haben die Pläne Gestalt angenommen. Am 15. März wurden in den Niederlanden in allen zwölf Provinzen neue Parlamente gewählt (vergleichbar mit den Schweizer Kantonsräten). Diese wählen wiederum Ende Mai den neuen Senat. Die gemeinsame linke Fraktion wurde 2022 von jeweils mehr als drei Vierteln der Mitglieder beider Parteien beschlossen, in der Provinz Zeeland treten PvdA und GL sogar auf der gleichen Liste an. Auch die künftigen Umrisse des rot-grünen Projekts konkretisieren sich: Die Doppel-Parteimitgliedschaft ist bereits möglich, zur Europawahl 2024 plant man eine gemeinsame Kampagne samt Wahlprogramm, Mitgliederreferenden sollen über gemeinsame Listen für die Parlamentswahlen 2025 entscheiden.

Ein gemeinsamer Feind

Attje Kuiken, die Fraktionschefin der PvdA, sprach Anfang Februar von einem «historischen Moment». Die Sozialdemokrat:innen hielten damals ihren Parteikongress in Den Bosch im Süden des Landes ab – in der gleichen Halle wie GroenLinks. Parteimitglieder konnten zwischen beiden Veranstaltungen hin- und herlaufen, Kuiken und der GL-Fraktionschef Jesse Klaver hielten ihre Reden vor der Basis beider Parteien. «Unsere grünen und sozialen Ideen haben einen gemeinsamen Feind: den übertriebenen Kapitalismus. Ausbeutung und Verschmutzung gehen Hand in Hand», verkündete Klaver kämpferisch.

Der GL-Fraktionschef macht sich für eine «fundamentale linksprogressive Alternative» stark, um die Dominanz neoliberaler Politik zu «brechen». In den letzten Jahren hört man solche Töne häufiger bei GroenLinks, die 1990 aus dem Zusammenschluss der Communistische Partij van Nederland mit linken Christ:innen und pazifistischen Sozialist:innen entstand.

Attje Kuiken von der PvdA träumte im Januar sogar von einem möglichen linken Wahlsieg 2025, wenn man die Kräfte bündle. Dass Ministerpräsident Mark Rutte von der marktliberalen VVD im Wahlkampf gegen eine «linke Wolke» wetterte, erweckte kurzzeitig denn auch den Anschein einer Auseinandersetzung auf Augenhöhe. Den Kräfteverhältnissen entspricht dies freilich nicht: Zu deutlich ist in den Niederlanden die Vormachtstellung konservativer und liberaler Parteien.

In Umfragen hinter Ruttes VVD

Die Zusammenarbeit von PvdA und GL erinnert an ähnliche Hoffnungsmomente der jüngeren Vergangenheit: an den rauschhaften Aufstieg der Grünen mit Shootingstar Jesse Klaver im Jahr 2017 oder an den frischen Elan der Sozialdemokrat:innen 2012 mit ihrem Spitzenkandidaten Diederik Samsom aus der ökologischen Bewegung sowie 2010 mit dem Brückenbauer Job Cohen. Von einem «linken Frühling» ist in solchen Momenten gerne die Rede. Doch in der Regel verpufft der Aufschwung schnell. In der politischen Kultur der Niederlande findet sich trotz erheblicher Unzufriedenheit der Bevölkerung noch auf jede Krise eine Mehrheit für das immer gleiche Standardrezept: mehr Markt.

Bietet der rot-grüne Schulterschluss diesmal Hoffnung, diesen Zustand zu überwinden? Der grüne Boom hat seinen Höhepunkt inzwischen überschritten. Die Sozialdemokrat:innen, von den Wähler:innen bis an den Rand der Bedeutungslosigkeit abgestraft, haben sich nie vom Ablegen ihrer «ideologischen Federn» erholt, wie es der Altministerpräsident Wim Kok seiner Partei 1995 verordnete. Ebenso wenig von der fortuynschen Revolte 2002 nach der Ermordung des rechtspopulistischen Politikers Pim Fortuyn, in deren Folge Teile ihrer Basis zu der von ihm gegründeten «Liste Pim Fortuyn» abwanderten. Im Senat kommt die PvdA derzeit nur auf 6 von 75 Sitzen, GL auf 8. In der zweiten Parlamentskammer sind es 9 (PvdA) beziehungsweise 8 (GL) von 150. Ein linker Machtblock sieht anders aus.

Mit dem Schulterschluss hoffen die beiden Parteien, ihren Einfluss zu stärken. Doch nach einer aktuellen Umfrage kommt die gemeinsame Senatsfraktion auf nur 13 Sitze – zwei weniger als Ruttes VVD. Hinzu kommen inhaltliche Differenzen, die zwischen dem traditionellen sozialdemokratischen und dem grün-progressiven Milieu verlaufen.

Gewisse Zweifel bleiben

Welcher Art die Bedenken sind, wurde in den vergangenen Monaten deutlich. Der einstige PvdA-Chef Ad Melkert mahnte an, eine Zusammenarbeit im Senat allein bringe noch keine zusätzlichen Stimmen. Mehrere renommierte Sozialdemokrat:innen verwiesen in einem offenen Brief auf ihr «rot schlagendes Herz», auf sozialdemokratische Ideale und auf die traditionelle Basis, «Leute mit schmalem Portemonnaie und bescheidener Ausbildung», die sich von der PvdA abgewendet hätten. «Holen wir die durch eine Fusion mit GroenLinks zurück?», fragten sie. Unterzeichner wie die ehemaligen Parteichefs Ruud Vreeman und Hans Spekman sperrten sich nicht grundsätzlich gegen eine Zusammenarbeit, wollen diese aber bedächtiger und analytischer angehen.

Aufschlussreich sind auch die Vorbehalte mehrerer junger GL-Mitglieder, die ebenfalls ein Positionspapier veröffentlicht haben. Darin beschreiben sie sich selbst als Generation, die den Klimawandel voll zu spüren bekomme und ohne Chance auf ein eigenes Haus, dafür aber mit langen Wartezeiten im sozialen und medizinischen Bereich aufgewachsen sei. Missstände, für die sie nicht zuletzt etablierte Generationen der PvdA mitverantwortlich machen, die in Regierungskoalitionen mehrfach neoliberale Einschnitte mitgetragen haben. Aufgrund von «fundamentalen ideologischen Unterschieden» distanzieren sie sich von der PvdA als «sinkender Verwalterpartei».

Allerdings geht es bei den Differenzen zwischen den beiden Parteien nicht nur um den Kulturunterschied zwischen sozial ambitionierten Roten und klimabewussten, gut verdienenden Grünen, die sozialökonomisch vermeintlich liberaler sind. «Unsere Genera­tion fordert eine radikale Systemveränderung, keine Symptombekämpfung innerhalb des heutigen kapitalistischen Systems», erklärte etwa der gegenüber der Zusammenarbeit kritische GL-Nachwuchs und nahm damit ein Kernthema der Sozialdemokrat:innen auf.

Ungeachtet der Widerstände gegen die Annäherung machten beide Parteien im Februar eine Ankündigung, die einen Vorgeschmack auf ihre künftige Kooperation gibt: Weitere Einschnitte in den Bereichen Pflege, Wohnen und soziale Sicherheit will die gemeinsame Senatsfraktion nicht hinnehmen. Die Regierung, die in der ersten Kammer des Parlaments keine eigene Mehrheit hat, braucht bei entsprechenden Vorhaben also nicht mehr mit ihren Stimmen zu rechnen.