Pop: Nichts ist zu wild

Nr. 11 –

Trap-Beats und grobe Gitarren: Das neue Album von Kim Gordon klingt absolut gegenwärtig und doch ganz eigen.

Portraitfoto der Musikerin Kim Gordon
Zu alt für so was? Falsche Frage! Kim Gordon ist siebzig und kein bisschen leise. Foto: Danielle Neu

Kim Gordon läuft zum Supermarkt, um Kartoffeln für zwanzig Dollar das Stück zu kaufen, vorbei an Kids, die auf Tiktok hängen, Smoothies schlürfend. Da ist schon ein Wundern: Wüsste ich bloss, was sie vorhaben, sagt Gordon im Song «Psychedelic Orgasm» und liefert dann einen Refrain in bester Emorap-Manier, das Autotune-verzerrte «L. A. is an art scene» wird von der Gitarrenwand fast verschluckt.

Kim Gordon ist jetzt siebzig Jahre alt, was auch immer das heissen mag. Ausser vielleicht, dass Gordon, über die immer und immer wieder dasselbe gesagt und geschrieben wird, dieses Label auch jetzt nicht loskriegen wird: bei allem, was sie tut, die Coolste zu sein.

Ihr zweites, vergangene Woche erschienenes Soloalbum «The Collective» klingt absolut gegenwärtig und doch ganz eigen, und ja: Es ist sehr cool. Gordon hat dafür mit dem Produzenten Justin Raisen zusammengearbeitet, seine Produktion ist mit ein Grund dafür, dass «The Collective» nun auch ein relativ unerwartetes Publikum findet. Grosse Aufregung auf Tiktok und bei einigen Youtube-Kommentator:innen, als im Januar mit «Bye Bye» die erste Singleauskoppelung des Albums erscheint: Was ist denn das, ein Raptrack von Kim Gordon? Mit diesem industriellen, groben Trapbeat? Dabei hat Produzent Raisen den Beat tatsächlich ursprünglich für Playboi Carti gebaut. Der Legende nach fand er ihn dann aber «too wild» für den gerade übergrossen Rapper aus Atlanta und gab ihn stattdessen Gordon. Im Text dazu geht sie eine Packliste durch: «Hoodie, toothpaste, brush, foundation / Contact solution, mascara, lip mask, eye mask» und so weiter, zum Schluss dann: «Bye bye, bye bye».

Den Alltag bestreiten

Danke und tschüss, aber wohin? Es ist der Auftakt zu einem faszinierenden Album von einer, die definitiv schon immer viel mehr war als bloss ein «Girl in a Band». Letzteres war der Titel von Gordons Autobiografie, 2015 erschienen, in der sie sich auch an der Beziehung mit Thurston Moore und ihrer damals noch nicht lange zurückliegenden Trennung abarbeitet. 1981 gründeten Gordon und Moore Sonic Youth, damals schon als Liebespaar. Die Biografie steigt dreissig Jahre später ein, im Jahr 2011 in São Paulo, beim allerletzten Konzert von Sonic Youth. Da war die Beziehung gerade zu Bruch gegangen, Moores Affäre aufgeflogen, und Gordon konstatiert: «Ich glaube nicht, dass ich mich jemals in meinem Leben so allein gefühlt habe.»

«Girl in a Band» war nebst vielem anderen auch ein Freischreiben von dieser Beziehung. Die Biografie kann, wie die Soloalben «No Home Record» (2019) und jetzt «The Collective», auch als eine Auseinandersetzung mit dem Alleinsein gelesen werden. Darauf weist schon der ironische Buchtitel hin, der sich auf den Songtext von «Sacred Trickster» von Sonic Youth bezieht: «What’s it like to be a girl in a band? / I don’t quite understand», singt Gordon darin – ich versteh nicht, was die Frage soll: eine Antwort an all jene, die das von Gordon in all den Jahren ihrer Künstlerinnenkarriere immer wieder wissen wollten, als wäre sie trotz allem nicht ganz zugehörig. Und jetzt, Alleinsein: Auf «The Collective» bedeutet das oft auch einfach, einen Alltag zu bestreiten.

Eine Menge Schalk

«Will you go bowling, bowling with me?», willst du mit mir bowlen gehen?, ruft sie in «Trophies» einem nicht näher definierten Gegenüber zu, und im Refrain: «Strike, strike, strike!» Dann: Steck deine Finger rein, aber geh nicht auf die Knie – «it’s not worth it», es ist es nicht wert, das kommt als Autotune-Schliere durch den Song gegeistert, als hätte sich hier eine frühe Charli XCX oder die New Yorker Rapperin 070 Shake eingeschlichen. Tollstes Lied übers Bowlen (oder vielleicht über etwas ganz anderes?), und das Schöne daran, wie auf dem ganzen Album: Hier wird nicht ironisiert, Gordon meint es durchaus ernst; aber sie hat genügend Spielraum und Luft, dass überall auch eine Menge Schalk drinstecken kann.

Wie gut das klingt, dieses so nonchalante Zusammenwerfen von Ideen und Zeiten: Da sind Raisens brachiale Beats zwischen Trap und Noise, darüber grob verzerrte, schlingernde Gitarren. Und da ist die mal abgeklärte, mal eindringliche Stimme von Gordon, die oft mehr deklamiert als singt und die in dem ganzen Getöse immer ihren Platz findet. Gordon ist keine, die sich aus Anflügen von Nostalgie in musikalischen Konservatismus stürzt, Autotune als «Beschiss» empfindet und alles ausserhalb von Gitarrenmusik nicht als «richtige Musik» bezeichnen mag. Genregrenzen? Falsche Frage. Zu alt für so was? Falsche Frage!

Schon auf dem noch gitarrenlastigeren Debütalbum «No Home Record» hatte sich Gordon mit Trap-Beats ausprobiert, ihr typischer Sprechgesang bietet sich dafür auch an. Sie könne nicht so wahnsinnig gut singen, sagte Gordon einmal. Trotzdem hört sich das, was sie macht, nie wie ein Kompromiss an. Die so gelungene Vermählung von verschiedenen Einflüssen zu etwas, das dann doch wieder einfach Kim Gordon ist, ist zwar frisch und überraschend. Erstaunlich ist es im besten Sinne nicht.

Album-Cover «The Collective» von Kim Gordon
Kim Gordon: «The Collective». Matador Records. 2024.