Film: Verstörendes Gleichgewicht

Nr. 15 –

Filmstill aus «Evil Does Not Exist»
«Evil Does Not Exist». Regie: Ryûsuke Hamaguchi. Japan 2023. Jetzt im Kino.

Der Titel ist eine Provokation, allerdings weder die erwartete noch jene, die man nach der Hälfte von «Evil Does Not Exist» ausgemacht zu haben glaubt. Auch ist hier nichts banal – am allerwenigsten die Verstörung am Ende, wenn das Gleichgewicht wieder hergestellt wurde.

Dabei ist die Sache von Anfang an so ominös wie lächerlich. In einem kleinen Dorf will irgendein Konzern einen «Glamping»-Platz einrichten, also Camping, aber eben «glamourös». Zwei Mitarbeiter:innen des Konzerns sollen der skeptischen Dorfbevölkerung das Projekt schmackhaft machen, geraten aber bereits nach den ersten höflichen Einwänden ins Stocken. Man macht sich Sorgen, welche Auswirkungen ein steter Strom von vergnügungssüchtigen Städter:innen auf das fragile ökologische Gleichgewicht des Ortes haben wird, insbesondere auf die Wasserqualität, die der Stolz des Ortes ist.

Wer mit dem früheren Werk des japanischen Filmemachers Ryûsuke Hamaguchi vertraut ist, wird von seiner subtilen Inszenierung dieser Diskussionsrunde kaum überrascht sein. Auch nicht von der Aufrichtigkeit, mit der die nicht einfachen Fragen um den Konflikt zwischen Zivilisation, Kultur und ökologischem Gleichgewicht behandelt werden, die mit naiver Verklärung nichts zu tun hat. Selbst wenn man den Titel weiterhin für traurige Ironie hält.

Dann aber wechselt Hamaguchi die Perspektive. Während einer langen Autofahrtszene wie aus «Drive My Car» (2021) beginnt er, die beiden Konzernangestellten menschlicher darzustellen, samt inneren Konflikten zwischen Pragmatismus, spiritueller Verwahrlosung und dem Bewusstsein, wahrscheinlich auf der falschen Seite zu stehen, sowie dem Wunsch, alles hinzuwerfen und ins Dorf zu ziehen und glücklich Holz zu hacken. Eine Art Grundgleichgewicht vorausgesetzt, ist das Problem dabei nur: Wenn es das Böse nicht gibt, gilt das auch für seinen allfälligen Gegenpol – und zwar in einem unerbittlichen System, das sich selber zu regulieren weiss. So funktioniert die nüchterne Ökofabel am Ende auch als bittere Gegenpille zu Wim Wenders’ allseits angeschwärmtem «Perfect Days» und dessen apolitischer Genügsamkeit.