Literatur: Lolita schlägt zurück

Nr. 7 –

Buchcover von «Bye Bye Lolita»
Lea Ruckpaul: «Bye Bye Lolita». Roman. Verlag Voland & Quist. Berlin/Dresden 2024. 312 Seiten.

«Lolita», aber erzählt von der Titelfigur? Eigentlich erstaunlich, dass das noch nie jemand gewagt hat. 1999 gabs zumindest mal eine halbe Ausnahme: «Roger Fishbite» von Emily Prager. Wobei die US-Autorin den Figuren in ihrem Roman, der unverkennbar an den Klassiker von Vladimir Nabokov angelehnt war, damals andere Namen gegeben hatte. Nicht so die deutsche Schauspielerin Lea Ruckpaul. In ihrem literarischen Debüt knallt sie den Namen des missbrauchten Mädchens gross auf den Titel: «Bye Bye Lolita».

«Leben heisst beschädigt werden», sagt ihre Lolita an einer Stelle. Ist Ruckpauls erwachsene Lolita also darauf aus, sich der Definitionsmacht von Nabokovs Ich-Erzähler Humbert Humbert zu entziehen, die Geschichte zurückzuerobern, die dieser aus ihr gemacht hat? Ja und nein, denn: «Das ist nicht meine Geschichte. Sie hat nichts mit mir zu tun. Ich bin nicht Lolita.» Ruckpauls feministische Revision lässt keinen Raum für Illusionen: Lolita kann gar nicht Subjekt werden, weil es sie, die vermeintliche Titelheldin bei Nabokov, immer nur als Objekt gab.

Dabei ist «Bye Bye Lolita» auch ein Roman im Grenzgebiet zwischen Fanfiction und Dekonstruktion. Auf die Frage, was denn nicht stimme mit Nabokovs «Lolita», sagte die Autorin in einem Interview: «Mit dem Original stimmt alles.» Ruckpaul legt sich also gar nicht erst mit dessen übermächtigem Schatten an: «Ich schreibe nicht gegen Nabokov, das wäre ja albern. Ich ergänze.» Was dann doch zu bescheiden klingt. «Bye Bye Lolita» ist ein Exorzismus. Was hier ausgetrieben wird, sind die Zuschreibungen, mit denen Nabokovs Ich-Erzähler seinen Kindsmissbrauch poetisch verklärt. Und es ist ein Korrektiv. Nicht zum Roman von Nabokov, der hat das nicht nötig. Sondern dazu, wie die Titelfigur im kulturellen Gedächtnis – ganz im Sinne von Humbert Humbert – zur frühreifen Femme fatale stereotypisiert wurde.

Katharsis ist da keine zu erwarten: «Niemand wird mich retten, nichts wird mich verwandeln.» Nichts ist in Ordnung, aber das musste gesagt sein.