Filmfestival Locarno: Dracula muss zum Zahnarzt
Locarno platzt aus allen Nähten, doch das Festival will trotzdem weiterwachsen. Und im Wettbewerb zeigt sich: Nicht überall, wo Mais wächst, gibts Popcorn.
Heiliger Sonntag im Kino, und dann steht da plötzlich dieses perverse Maisfeld mit lauter Penissen dort, wo Maiskolben wachsen sollten. Mit Dracula hatte das zwar endgültig nichts mehr zu tun, im neuen Film des Rumänen Radu Jude. Aber der letzte Anarcho des Gegenwartskinos ist sich bekanntlich für nichts zu schade in seinen aus- und abschweifungsfreudigen Filmen. Was will er jetzt mit seinem hochgradig selbstreferenziellen «Dracula», der in Locarno im Wettbewerb läuft?
Klar, das ist auch als kulturelle Rückaneignung angelegt. Radu Jude vergreift sich am grössten Exportschlager der rumänischen Kultur, um die ganze Draculafolklore nach Strich und Faden zu demontieren – zwischen exaltiertem Revuetheater und monströsem KI-Kitsch. Billig ist natürlich Programm bei Radu Jude: Seine Ideen verramscht er lieber im Affekt, statt sie so lange zu veredeln, bis sie sich im guten Geschmack von selbst erledigen. Vorletztes Jahr hat er in Locarno mit «Do Not Expect Too Much from the End of the World» (2023) den Spezialpreis der Jury gewonnen, das wird ihm diesmal nicht passieren. Sein «Dracula» klingt wild, ist aber in den 170 Minuten oft einfach nur: öde. Dracula mit Zahnweh bei Dr. Caligari? Haha. Als Webserie auf Youtube wäre das besser aufgehoben als auf der grossen Leinwand im Fevi.