Zweiter Weltkrieg: Verdrängen und Erinnern am Rhein
Die einen glauben, sie seien alle Fluchthelfer:innen gewesen, die anderen erinnern sich vor allem an Anbauschlacht und Rationierung: Die Geschichten, die man sich im Dreiländereck Rheintal über die Zeit des Zweiten Weltkriegs erzählt, unterscheiden sich stark. Woher kommt das?

Immer wieder rutschen die Füsse auf den glitschigen Steinen des Wanderwegs, der im Zickzack steil hinauf zur Burgruine über dem österreichischen Hohenems führt. Regen prasselt aufs Blätterdach. Das Gewitter hat schon den ganzen Tag drohend in der Luft gelegen, doch die Kühe oben auf dem Schlossberg grasen unbeirrt weiter. Über der Weide erhebt sich die restaurierte Ruine der Burg Alt-Ems. Mit ihren 800 Metern Länge einst die grösste Burganlage Mitteleuropas, wurde sie 1940 während des Nationalsozialismus unter Denkmalschutz gestellt. Von ihrer Wehrmauer aus geht der Blick weit über das ganze Rheintal.
Um sich einen Überblick zu verschaffen, steigt am 9. November 1942 Margarethe Eder auf den Schlossberg – so berichtet sie es später auf einem Schweizer Polizeiposten. Die zwanzigjährige Österreicherin hat bis dahin in einem bayerischen Rüstungsbetrieb gearbeitet, der Giftgas produziert. Im Oktober 1942 droht ihr die Verhaftung wegen kritischer Äusserungen über das nationalsozialistische Regime – sie entscheidet sich für die Flucht.