Serbien: Strukturwandel in den Medien: Neues Geld für alte Sender

Eine gesetzliche Regulierung des Wildwuchses im Mediensektor Serbiens lässt weiter auf sich warten. Das scheint den neuen MachthaberInnen ganz gut zu passen.

Hektik herrscht im Büro von Nuns, dem Unabhängigen Journalistenverband Serbiens. Die Direktorin ist auf dem Weg zu ihrem Anwalt, die Generalsekretärin telefoniert, und eine Sitzung folgt der andern. Heute hätte die Übernahme der neuen Geschäftsstelle stattfinden sollen – aber Uns, die Mutterorganisation von Slobodan Milosevics Gnaden, von der sich der oppositionelle Verband 1994 trennte, weigert sich trotz Gerichtsbeschluss, die Schlüssel herauszugeben. Sie will die Büros kommerziell vermieten. Dies sei symptomatisch für den Strukturwandel der Medien in Serbien, sagt Sanja Cosic, die Generalsekretärin der «Unabhängigen»: Die alten Kräfte seien auf dem Rückzug, versuchten aber, vergangene Privilegien in klingende Münze zu verwandeln. Vor allem aber fehle der politische Wille der neuen Elite, ein duales Mediensystem nach westeuropäischem Muster zu installieren: öffentlich-rechtliche Landessender, ergänzt durch private Anbieter. Gerade im Bereich der elektronischen Medien ist die Lage chaotisch. Wie in vielen Transformationsländern gibt es einen Wildwuchs an legalen und illegalen lokalen Radio- und Fernsehstationen, die unterfinanziert oder im festen Griff von Lokalbehörden arbeiten. Nach Auskunft einer Mitarbeiterin des Medienzentrums Belgrad gibt es landesweit etwa 300 Fernsehstationen und gegen 700 Radiosender.
Es liegt auf der Hand, dass ein Gesetz zur Vergabe von Sendelizenzen dringend nötig wäre. Aber die Reformer der Koalitionsregierung von Zoran Djindjic lassen sich Zeit. Nachdem vor zwei Wochen der lang erwartete Gesetzesentwurf nochmals zurückgezogen worden war, liegt seit Dienstag eine überarbeitete Fassung im Parlament. Die Medien- und Journalistenverbände sind ungehalten über die Verspätung. Sie hatten bereits im Frühling 2001, ein halbes Jahr nach Milosevics Sturz, einen Gesetzesentwurf eingereicht und wollen nun endlich Taten sehen. «Es ist offensichtlich», sagt Veran Matic, der Präsident des Verbands für unabhängige elektronische Medien (Anem), «dass die Regierung nicht bereit ist, den elektronischen Mediensektor rigoros zu demokratisieren.» Anem meldet zudem Widerstand gegen den Paragrafen des neuen Gesetzes an, wonach vier der neun Mitglieder des «staatlich unabhängigen» Rundfunkrats vom Staat nominiert werden. Der Rundfunkrat soll in einem transparenten Verfahren die finanziellen, technischen und organisatorischen Voraussetzungen für die Vergabe von Lizenzen prüfen. Auch die Demokratische Partei Serbiens (DSF) des jugoslawischen Präsidenten Vojislav Kostunica wehrt sich gegen den Gesetzesvorschlag der serbischen Regierung. Damit werde der «gesellschaftliche Einfluss auf die Medien zugunsten der staatlichen Kontrolle vermindert», schreibt die DSF. Die Erwartungen der Medienverbände an das neue Gesetz sind hoch. Es soll den «legislatorischen Bruch mit der Vergangenheit» bewirken, hofft Matic, und die Fähigkeit der Gesellschaft, «sich selber zu beobachten», auf ein neues Niveau heben.
Weshalb diese Verzögerung der Medienregulierung? Viele Medienschaffende glauben, dass die Regierung von den Manipulationsmöglichkeiten, welche die jetzige Situation bietet, so lange wie möglich profitieren will. «Solange Sendelizenzen nicht rechtmässig vergeben werden, können Regierungsstellen mit Versprechungen und Drohungen Wohlverhalten erzwingen», sagt Sanja Cosic. Es gibt aber auch gewichtige ökonomische Interessen an der Aufrechterhaltung des Status quo. Stationen, die dank engen Beziehungen zum Regime von Milosevic heute landesweit senden, haben an einer Neuverteilung der Karten kein Interesse. Sie beziehen den Löwenanteil der Werbeeinnahmen, sichern sich die Rechte für attraktive Übertragungen aus dem Ausland und suchen die Nähe der neuen Machthaber. Das bringt die ehemaligen Medienpartisanen des Radio- und Fernsehsenders B92 oder der Tageszeitung «Danas» verständlicherweise in Rage. Sie sind damit konfrontiert, dass die Unterstützungsgelder ausländischer Regierungen und Nichtregierungsorganisationen allmählich versiegen; sie können keine Investitionspläne machen, weil die Rechtslage unklar ist; und müssen zusehen, wie das einfliessende Kapital ehemaligen Regimemedien zugute kommt, wie der einst angesehenen Tageszeitung «Politika».
Auch der Umbau des Staatsfernsehens RTS (Radio Televizija Srbije) zum öffentlich-rechtlichen Sender wird in diesen Kreisen skeptisch verfolgt. Bei RTS hat zwar eine rigorose «Säuberung» von Führungsleuten stattgefunden. Ein dramatischer Personalabbau hat begonnen. Aber obrigkeitsstaatliche Mentalität und schwache Professionalität seien noch immer die Regel, heisst es bei Anem. Das neue Gesetz soll hier einiges ändern. «Informationsgefässe müssen vor dem Einfluss politischer und ökonomischer Organisationen geschützt werden», heisst es im Entwurf. Die Reform von RTS wird, auch im Bereich der Ausbildung, mit erheblichen internationalen Geldern gefördert. Für die ExpertInnen der Schweizer Organisation Medienhilfe ist das fragwürdig. In einem Bericht über die Lage der öffentlich-rechtlichen Medien auf dem Gebiet des ehemaligen Jugoslawien kommt Geschäftsführer Roland Brunner zum Schluss, dass die alten Staatsmedien zum Neuanfang ungeeignet seien. Öffentlich-rechtliche Medien könnten nur funktionieren, wenn das staatliche Institutionengefüge stabil sei und die Gewaltenteilung respektiert werde. Andernfalls würden sie zum Spielball der herrschenden Parteien. Die Medienhilfe empfiehlt deshalb die Zusammenarbeit mit Unabhängigen wie etwa B92, die sich um eine Landeslizenz bewerben. Wie gut B92 mit seiner provokativen und anspruchsvollen Berichterstattung und seinem ultramodernen, farbenfrohen Design im ländlich-konservativen Serbien ankommen wird, ist eine andere Frage.