SP und Grüne: Galerie der Irrlichter
Die Schengen-Euphorie vernebelt linken PolitikerInnen den Durchblick und lässt sie alte Positionen schnell vergessen.
Eine Enthaltung bei der SP und ein Nein bei den Grünen verzeichnet das Protokoll des Nationalrats zur Schlussabstimmung über die Bilateralen II. Wo sind die einstigen Schengen-KritikerInnen geblieben? Zum Beispiel Paul Rechsteiner. Bereits 1991 hatte der St.Galler SP-Nationalrat die Gefahren des Schengen-Projektes erkannt. Vor dem Hintergrund des Fichenskandals in der Schweiz befürchtete er den «Aufbau eines neuen, diesmal noch weit grösser dimensionierten Schnüffelstaates».
Im «Fichenfritz», der Zeitung des Komitees «Schluss mit dem Schnüffelstaat», gab der heutige Präsident des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes die Linie einer linken Schengen-Kritik vor: «Die europäische Integration ist für die Schweiz an vielen Orten wünschbar. Nicht nur unnötig, sondern gefährlich und bedrohlich ist die Integration in das Schengener System.» Der Abbau der Grenzkontrollen sei begrüssenswert, weshalb er aber mit einer derart polizeilastigen Dynamik gekoppelt sein müsse, sei nicht einzusehen. «Der Schnüffelstaat darf nicht durch die europäische Hintertür neu legitimiert werden.» Heute bleibt Rechsteiner stumm, im Nationalrat stimmte er Ja.
Das Dubliner Abkommen verschlimmert die Situation der Asylsuchenden. Das wusste auch SP-Fraktionspräsidentin Hildegard Fässler. Ende März 2001 verwies sie gegenüber dem «St. Galler Tagblatt» auf den zu hohen rechtlichen und humanitären Preis von Schengen/Dublin. «Schengen ist kein linkes Projekt», weiss Fässler auch vier Jahre später noch und widerspricht damit der sozialdemokratischen Bundesrätin Micheline Calmy-Rey. Der Schengen-Beitritt sei jedoch ein Projekt der Öffnung, deshalb müsse man ihm zustimmen.
«Schengen ist kein Projekt der Öffnung, sondern ein repressives Werk», liess sich Fässlers Fraktionsgenosse Remo Gysin im April 2002 vom Berner «Bund» zitieren. Die Öffnung der Grenzen werde durch eine Zunahme der polizeilichen Überwachung im Landesinnern kompensiert. Im Januar 2002 hatte der Basler SP-Nationalrat in der Aussenpolitischen Kommission den Antrag gestellt, dem Bundesrat das Verhandlungsmandat für einen Schengen-Beitritt zu verweigern: «Das Schengener Informationssystem SIS ist vor allem auf Personen ausgerichtet, die weggewiesen werden oder nicht einreisen dürfen.» Die Schengen-Kröte würde er allenfalls schlucken, wenn es um einen EU-Beitritt ginge. Darum geht es immer noch nicht. Gysin hat die Kröte trotzdem geschluckt.
Auch bei den Grünen hat der Wind gedreht: Noch Anfang des Jahrzehnts schien das Nein zu Schengen die offizielle Meinung der Partei darzustellen. Im Frühjahr 2001 wandte sich Fraktionschefin Cécile Bühlmann mit einer Interpellation gegen die zu erwartenden Kontrollen im Inland: «So begrüssenswert es sein mag, dass der Bundesrat die Kontrollen an den Grenzen abschaffen will, so bedenklich erscheint es, dass er sie ersetzen will durch neue Kontrollen im Inland. Kontrollen im Landesinneren ohne Verdacht widersprechen dem Prinzip der Bewegungsfreiheit, das eine tragende Säule demokratischer Rechtsstaaten ist.» In Deutschland habe sich gezeigt, dass diese Kontrollen ohne Verdacht vor allem am Kriterium der Hautfarbe und am «ausländischen» Aussehen orientiert seien und einen sehr diskriminierenden Charakter haben.
Die Gefahren eines Schengen/Dublin-Beitrittes sind der Partei auch heute noch bewusst. «Die Folgen des Abkommens – Datenschutzprobleme, Erstasylregelung, scharfe Kontrollen an den EU-Aussengrenzen und Schleierfahndungen im Inland – sind den Grünen ein Dorn im Auge.» So hiess es in der Vernehmlassungsantwort der Partei. Allen Dornen zum Trotz sagt die Partei «Ja» zum Schengen-Beitritt.
Parteipräsidentin Ruth Genner verspürte «in Bezug auf Schengen ein sehr ungutes Gefühl». Kein Wunder: Krötenschlucken ist eklig.