Schengen/Dublin: Ach, Europa

Nr. 16 –

Über die kurze Halbwertszeit der linken Positionen zu Schengen/Dublin

Selten gab es zu einem wichtigen Thema eine so uninspirierte Veranstaltung wie die Medienkonferenz des linken Komitees «Ja zu Schengen/Dublin». Nachdem die RednerInnen ihre Standpunkte abgespult hatten, gab es noch eine kleine Frage, dann war Schluss.

Offensichtlich geben die Positionen der SP, der Grünen, der Immigrantenvereinigung FIMM und der Schweizerischen Flüchtlingshilfe nichts zu diskutieren. Trotzdem bleiben Fragen.

Zuerst zu den Grünen: Sie haben sich ihren Entschluss nicht leicht gemacht – aber nun haben sie die Kröte geschluckt. Schengen/Dublin sei eine Etappe auf dem Weg nach Europa und deswegen unvermeidlich. Die Schleierfahndung, das Schengener Informationssystem (SIS) und die «Festung Europa» müsse man halt in Kauf nehmen.
Die Grünen wollen unter keinen Umständen das Risiko eingehen, noch einmal zum unfreiwilligen Verbündeten der SVP zu werden. Der Schock von 1992 sitzt ihnen immer noch tief in den Knochen. Damals lehnten sie den Beitritt zum EWR ab. Die Nein-Parole setzte sich durch, allerdings nicht mit den Argumenten der Grünen, sondern mit denjenigen der SVP.

Dann zur SP: Sie trägt keine Hypothek von 1992 mit sich herum. Der Weg in die EU war für sie schon damals vorgezeichnet. Insofern ist es konsequent, wenn sie hier weitermacht – und jeden Schritt in diese Richtung nicht nur akzeptiert, sondern erfreut unterstützt. Fraktionspräsidentin Hildegard Fässler listete denn auch einmal mehr die bekannten Vorzüge auf: offene Grenzen, Bekämpfung der organisierten Kriminalität, Schengen-Visum, wirtschaftliche Vorteile für den Tourismus usw. Bemerkenswert geschlossen ist die Fraktion: Mit wenigen Ausnahmen – Franco Cavalli, André Daguet, Marlyse Dormond, Valerie Garbani und Carlo Sommaruga – folgten alle ParlamentarierInnen dem Aufruf der Partei und trugen sich als Mitglieder des Komitees ein.

Dass führende SozialdemokratInnen allein mit dem Schlagwort Europa in diesen Abstimmungskampf ziehen, zeigt allerdings eine bemerkenswert kurze Halbwertzeit ihrer Positionen. Es ist noch nicht lange her, da war bei ihnen Schengen noch verpönt. Gerade in der Grundrechtsfrage hätte man sich deshalb von der SP ein bisschen mehr Rückgrat gewünscht. Nur weil er europäische Dimensionen erhält, darf die Kritik am Schnüffelstaat nicht aufhören. Genau das aber geschieht.

Es gab in der SP auch Leute, die Schengen als unangenehme Begleiterscheinung auf dem Weg nach Europa einstuften – und höchstens bereit waren, dafür ein lustloses Ja abzugeben.

In dieser Logik hätte es ausgereicht, wenn sich die Partei stillschweigend hinter den Bundesrat, die Wirtschaft und die Polizei gestellt hätte. Aber das Gegenteil ist der Fall: Eine eigene linke Kampagne, die rund 200 000 Franken kostet, muss es sein. Und Schengen/
Dublin ist plötzlich ein linkes Projekt.

Warum das? Um der SP-Aussenministerin den Rücken zu stärken? Um die SVP auf ihrem eigenen Gebiet, der Sicherheit, zu schlagen?

Micheline Calmy-Rey wird auch ohne diese Unterstützung über die Runden kommen. Und die SVP ist auch nicht mehr die gleiche wie damals, als sie den EWR kippte.
Kurz: Diese Kampagne macht keinen Sinn. Sie vergrault die Linken, die mit dem Schnüffelstaat nichts zu tun haben wollen – ob in der Schweiz oder in der EU. Sie kostet Geld, das die Parteien lieber in eine andere Kampagne stecken sollten, und sie trägt dazu bei, dass man einmal mehr über die EU wie über eine quasireligiöse Heilslehre spricht und nicht über ein kompliziertes Gebilde mit vielen Macken und Tücken.