Knast wegen Notlage

Rechtskonservative werden nicht müde, zu behaupten, Feminismus sei überflüssig, da zwischen den Geschlechtern längst alles zum Besten bestellt sei. Dabei ist in Grossbritannien gerade ein besonders krasses Beispiel in Sachen Frauenverachtung zu beobachten: Am Montag wurde eine 44-Jährige zu 28 Monaten Haft verurteilt, weil sie nach Ablauf der gesetzlich erlaubten Frist von 24 Wochen abgetrieben hatte. Die Mutter von drei Kindern muss mindestens vierzehn Monate absitzen, die andere Hälfte der Strafe wurde auf Bewährung gesprochen.

Während des Coronalockdowns hatte die Frau über eine telefonische Fernberatung den damals neu eingeführten «Pillen per Post»-Service genutzt, um sich Abtreibungspillen nach Hause schicken zu lassen. Im Abklärungsgespräch mit dem British Pregnancy Advisory Service hatte sie falsche Angaben über den Fortschritt ihrer Schwangerschaft gemacht – wohl aus Verzweiflung.

Statt einer Frau in einer Notlage zu helfen, setzt das britische Rechtssystem also auf Repression. Als wäre man noch im Jahr 1950. Das Urteil heizt in Grossbritannien die Diskussion um das Recht auf Abtreibung neu an. Die konservative Parlamentarierin Caroline Nokes etwa stellte sich am Montagabend auf BBC gegen das Urteil – auch weil das «Offences against the Person»-Gesetz, auf dem dieses beruht, aus dem Jahr 1861 stammt. Das Parlament müsse dringend Reformen anstossen.

Stella Creasy, eine Abgeordnete der Mitte-Links Partei Co-operative Party, forderte die Politik in einem Tweet zum Handeln auf: «Wenn auch Sie der Meinung sind, dass Abtreibung eine Gesundheitsversorgung und keine kriminelle Angelegenheit ist, bitte ich Sie, sich mir anzuschliessen.» Creasy will mit einer politischen Allianz den «Lordkanzler» zum Handeln bewegen: Dieses Amt ist in Grossbritannien mit rechtsprechenden Befugnissen ausgestattet und könnte das Urteil, rein theoretisch, infrage stellen. In der Praxis kommt das jedoch äusserst selten vor.

Bereits im April hatte das Royal College of Obstetricians and Gynaecologists, die Vereinigung von Gynä­ko­log:in­nen und Geburts­hel­fer:in­nen, ein Plädoyer für Strafmilderung an den zuständigen Richter gesandt. Ohne Erfolg. Der Richter verwies auf geltende Gesetze, die «Sache des Parlaments» seien. Creasy gab ihm gestern Abend auf Twitter recht: «Im Gegensatz zu dem, was manche behaupten, ist Abtreibung in England nicht legal. Es ist an der Zeit, das Gesetz zu ändern und den Frauen zu vertrauen.»