Die Polizei tötet, die Banlieue brennt
Die Polizei, Garantin bestehender Macht- und Eigentumsverhältnisse, macht das Dasein der Menschen nicht sicherer, sondern ist eine Gefahr für Leib und Leben – zumindest wenn man nicht weiss ist und eher zur Klasse der Habenichtse denn der Vermögenden zählt. Für die Thesen des polizeikritischen Abolitionismus (siehe WOZ Nr. 25/23) gibt es wieder einen eindrücklichen Beleg, dieses Mal aus Frankreich: In Nanterre, einer Pariser Banlieue, erschoss ein Polizist am Dienstagmorgen den siebzehnjährigen Nahel M. bei einer Verkehrskontrolle.
Zunächst hatte es vonseiten der Behörde geheissen, der junge Mann – angeblich ein polizeibekannter Krimineller – sei auf die Beamten zugerast: eine Falschbehauptung, die rasch durch ein im Netz zirkulierendes Handyvideo widerlegt wurde. Darauf ist zu sehen, wie zwei Polizisten sich ins Auto lehnen, der eine von ihnen mit gezückter Waffe. Als dann der Fahrer plötzlich wegfahren will, fällt der tödliche Schuss.
Dass die Polizei zunächst offenkundig über das Geschehen gelogen hat, unterstreicht einmal mehr, dass es sich bei dieser Institution nicht einfach um eine «objektive» Instanz handelt, sondern um einen Akteur, dessen Verlautbarungen kritisch betrachtet werden müssen – in Frankreich wie anderswo auch.
Nahel M.s Ermordung führte jedenfalls zu brennenden Vorstädten in Frankreich. Die Riots intensivierten sich in der Nacht von Mittwoch auf Donnerstag sogar, Unruhen gibt es mittlerweile nicht mehr nur in Nanterre und der Region Île-de-France, sondern auch in Toulouse, Lyon oder Dijon. Die linksliberale Tageszeitung «Le Monde» fühlt sich bereits an die wochenlangen Aufstände vom Herbst 2005 erinnert, als die Regierung schliesslich sogar den Ausnahmezustand verhängte.
Ebenfalls «Le Monde» strich heraus, dass es zwischen Nahel M.s Tod und der Verschärfung des französischen Polizeigesetzes 2017 einen Zusammenhang gibt: Die Reform hatte zur Folge, dass es Polizist:innen in mehr Situationen erlaubt ist, von der Schusswaffe Gebrauch zu machen, was wiederum statistisch zu mehr Toten geführt habe. Der Mord von Nanterre sticht also vor allem deswegen heraus, weil er per Video gut dokumentiert ist.
2005 hatte der damalige Innenminister Nicolas Sarkozy den starken Mann markiert und geprahlt, die Vorstädte von dem «Gesindel» säubern zu wollen. An dieser Haltung der französischen Eliten gegenüber den Menschen, die in der Banlieue leben, dürfte sich eher wenig geändert haben. Dem linken Onlinemedium «Mediapart» sagte ein junger Mann, der gestern Abend die Strassenschlachten in Nanterre auf einer Parkbank sitzend beobachtete, dass er dabei an die «Jahre des stillen Leidens» denke. Und dass man nun aber «den Kopf erhebe».