Tabula rasa in der Gentechregulierung
«Revolution von oben», titelt die NZZ heute, und im Wortsinn stimmt das sogar: Die EU-Kommission will genomeditierte Pflanzen künftig den konventionellen gleichstellen – das kommt einem präzedenzlosen Zurückwälzen von Errungenschaften in der Gentechregulierung gleich.
Auf dem Papier gibt es zwar noch eine Beschränkung in Bezug auf die Grösse der Mutation (maximal zwanzig Basenpaare), die mit den neuen Gentechverfahren verändert werden dürfen. Doch das sei, schreibt das Europäische Wissenschaftler:innennetzwerk ENSSER, ein völlig willkürliches Kriterium, weil bereits kleine Eingriffe mitunter gefährliche Konsequenzen haben könnten. Makulatur ist die Hürde auch, weil sie die überwiegende Mehrheit aller genomeditierten Pflanzen problemlos nimmt, wie Agrarwissenschaftlerin Eva Gelinsky betont.
Der Vorschlag der EU-Kommission führt zu einer völligen Deregulierung, deren erstes Opfer das Vorsorgeprinzip wird. Pflanzen, die mittels neuen gentechnischen Züchtungsverfahren hergestellt wurden, dürfen ohne Auflagen punkto Monitoring, Haftung, Koexistenz oder Kennzeichnung und Transparenz angebaut und vermarktet werden. Biolandwirtschaft in kleinräumigen Gebieten wie der Schweiz wird so zum Ding der Unmöglichkeit, abgeschafft auch die Wahlfreiheit der Konsument:innen. Das zeigt das Beispiel Argentinien, wo bereits ein mit neuen Züchtungsverfahren hergestellter transgener Weizen zusammen mit konventionellem gemahlen, gemischt und an die Bäckereien vertrieben wird.
Die Profiteure sind – wen wunderts – jene, die die «Revolution von oben» initiiert und durchgesetzt haben: die Agrokonzerne. Sie können künftig bestimmen, was bei uns auf den Teller kommt. Bereits jetzt haben sie in der EU rund 700 Patente auf genomeditierte Pflanzen angemeldet, weltweit sind es über 20 000.
Dass die nachhaltige Wende für Ökologie und Ernährungssicherheit, die sich die EU-Kommission von ihrer Deregulierung verspricht, pure Augenwischerei ist, demonstriert sie heute gleich noch einmal: Die europäische Lebensmittelbehörde Efsa hat die Zulassung für das hoch umstrittene Herbizid Glyphosat erneut verlängert.