Alle rücken sie nach rechts

Seit Jahren schon warnt zumindest der aufgeklärtere Teil der Soziolog:innen vor dem Phänomen der «Diskursverschiebung nach rechts». Gemeint ist die Strategie rechtspopulistischer Parteien, durch ständige Grenzüberschreitungen die eigenen Narrative gezielt als «normal» zu etablieren. Wie erfolgreich diese Methode sein kann, lässt sich aktuell beispielsweise in Deutschland beobachten. Diverse Spitzenpolitiker:innen dort sind jedenfalls schon ordentlich diskursiv verrückt worden: Die Begrenzung der Migration ist nun auch bei ihnen das Hauptthema. Und die damit verbundenen realpolitischen Forderungen werden zusehends rechter. 

Der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz beispielsweise fällt schon seit längerem mit Bemühungen auf, sich als rechter Hardliner zu profilieren. In den letzten Tagen hat sich sein Ton noch einmal hörbar verschärft. An der nationalen Zusammenkunft der Jungen Union pochte er erneut auf ein «Ende der ‹illegalen Migration›», womit eine weitere Einschränkung des Rechts auf Asyl gemeint ist. Auch bei Einbürgerungen von Migrant:innen will Merz neue Wege gehen: So soll nur noch eingebürgert werden können, wer am Ende des Verfahrens bereit sei, ein «Bekenntnis zu Israel» zu unterzeichnen – juristisch ist das vermutlich ein recht halsbrecherischer Einfall. Und mit Blick auf potenzielle Flüchtlinge aus Gaza polemisierte Merz gestern auf Twitter: «Deutschland kann nicht noch mehr Flüchtlinge aufnehmen. Wir haben genug antisemitische junge Männer im Land.»

Aber nicht nur der Oppositionsführer, auch der Bundeskanzler verschärft den Ton: In einem grossen «Spiegel»-Interview forderte Olaf Scholz unter anderem eine noch restriktivere Abschiebepraxis gegenüber abgewiesenen Geflüchteten und kriminellen Ausländer:innen. Das Nachrichtenmagazin zitiert den Regierungschef auf seiner Titelseite mit der Forderung: «Wir müssen endlich im grossen Stil abschieben».

Und dann ist da ja auch noch die Ex-Linke Sahra Wagenknecht, die gerade dabei ist, eine neue Partei zu gründen, deren Identität auf einem nationalistisch verkürzten Verständnis von Solidarität gründen soll.

Und in der Schweiz? Da läuft die «Diskursverschiebung nach rechts» schon seit Jahrzehnten wie geschmiert: Nach dem Wahlerfolg der SVP vom letzten Sonntag lud «20 Minuten» Parteiübervater Christoph Blocher gestern erneut zum grossen Interview ein. Darin ist die Wurzel allen Übels schnell ausgemacht: «Die Zuwanderung ist ungebremst.» Viel mehr politische Substanz gewinnt das Gespräch dann nicht mehr.

Soziologisch könnte man das alles als Reaktion auf die mittlerweile kaum mehr zu verleugnende Erfahrung einer um sich greifenden Vielfachkrise zurückführen: Ganz offensichtlich brennt die Welt ja an allen Ecken und Enden. Entsprechend führte auch der «Blick» am Morgen nach der Wahl den SVP-Erfolg auf eine Bevölkerung zurück, «die von globalen Dauerkrisen verunsichert ist». Vielleicht aber sollte man gerade deswegen daran erinnern, dass die Geschichte doch recht eindrücklich lehrt, wohin immer mehr Nationalismus und Abschottung führt.