Trump-Moment in Den Haag

Es war noch gar nicht so spät in dieser Wahlnacht, da tickerte eine Meldung über den Bildschirm des niederländischen öffentlich-rechtlichen TV-Senders NOS: «Viktor Orbán gratuliert Geert Wilders». Später berichteten Zeitungen, Ungarns Ministerpräsident habe dem frischgebackenen Wahlsieger von der von ihm selbst gegründeten rechtspopulistischen Partij voor de Vrijheid (PVV) übermitteln lassen: «The winds of change are here».

Der Erdrutschsieg der PVV hatte sich erst auf der Zielgeraden des Wahlkampfs angedeutet, allerdings in dieser Dimension Gegner:innen wie Anhänger:innen völlig überrascht. Während der rot-grüne Spitzenkandidat Frans Timmermans dazu aufrief, zusammenzurücken und die Demokratie zu verteidigen, kündigte Wilders im Moment seines Triumphes an, die Niederländer:innen würden künftig «wieder an erster Stelle» stehen.

Die offensichtliche Referenz an Donald Trumps «America First»- Rhetorik passt: Was die Niederlande in der gestrigen Nacht erlebten, war so etwas wie ihr Trump-Moment. Eigentlich kam er sechs Jahre verspätet, denn bereits 2017, nach Trumps Vereidigung, wollte Wilders niederländischer Premier werden. Seinen identitären Geistesverwandten im Rest Europas sollte das damals als Kickstart in einen «patriotischen Frühling» dienen. Der Plan ging nicht auf, und manche liberalen Medien feierten das nahe Ende der rechtspopulistischen Welle.

Erst jetzt zeigt sich, was für ein tragischer und naiver Trugschluss dies war. Der Ausgang dieser Wahl ist das Ergebnis einer inhaltlichen und rhetorischen Verschiebung, der die Partei seit Jahren den Weg bereitet hat. Wenn heute achtzig Prozent der Teilnehmenden einer Umfrage weniger Asylbewerber:innen im Land wollen, geht das auf die jahrelange Agitation der PVV zurück.

Tiraden gegen «Den Haag» und «Brüssel» sind auch Standardprogramm anderer rechter Parteien, die in den letzten Jahren ins Den Haager Parlament einzogen. Sie folgen dem wildersschen Muster und seiner Aufforderung zum «Widerstand» gegen die Regierung, die er ab der Flüchtlingskrise 2015 durchs Land posaunte. Die einst skandalöse Parole «eigen volk eerst» ist längst salon- und konsensfähig. Die PVV hat nun das Feld abgeerntet, das sie selbst bestellt hat.

Wilders, so viel Nuance muss sein, wurde fraglos von vielen Menschen gewählt, die über kein geschlossen rechtsextremes Weltbild verfügen. Und genauso sicher von vielen, die, gefragt nach ihrer Wahlentscheidung, mit grösster Selbstverständlichkeit sagen, dass sie wegen der vielen Migrant:innen zu wenig Geld im Portemonnaie und ihre Enkel keine Chance auf eine eigene Wohnung hätten.

Dieser Diskurs ist in den Niederlanden nun dominant. Er beinhaltet eine programmatische Geringschätzung für Gender- und Klimapolitik, eine aggressive Abkehr gegenüber Europa oder regelmässige Attacken auf alles, was in PVV-Kreisen mit dem diffusen Label «woke» bedacht wird. Der Druck auf die Gesellschaft wird immens zunehmen. Und wie einst Trumps Wahlsieg dürfte nun der von Wilders die Ambitionen des identitären Europa beflügeln.