Namibia: Deutschland auf dünnem Eis
Am 12. Januar 1904 haben sich im heutigen Namibia die beiden Volksgruppen der Herero und Nama gegen die deutsche Kolonialmacht erhoben. In der Folge wurden die bis 1908 anhaltenden Aufstände brutal niedergeschlagen. Nach der historischen Aufarbeitung der Geschehnisse wird diese Niederschlagung in der Genozidforschung als erster Völkermord des 20. Jahrhunderts gewertet. Lange Zeit wollte Deutschland keine Verantwortung für die gezielte Deportation, die Errichtung von Konzentrationslagern und die Ermordung von bis zu 100'000 Menschen übernehmen. Erst 2021 konnte es sich dann doch dazu durchringen, seine Verbrechen auch selbst als Völkermord zu bezeichnen.
Ein Statement Deutschlands zum 120. Jahrestag des namibischen Völkermords ist vergangenen Freitag ausgeblieben. Dafür hat sich die deutsche Regierung am selben Tag zur Genozidklage Südafrikas gegen Israel geäussert und seine Position klargemacht: Sie lehnt den Genozidvorwurf an Israel entschieden ab, weil dafür «jede Grundlage» fehle. Die Regierung erklärt weiter, als Drittpartei in den Gerichtsverhandlungen «intervenieren» zu wollen.
Angesichts der hohen Opferzahlen im Gazastreifen und der Statements verschiedener NGOs, die Israels militärisches Vorgehen scharf kritisieren, wirken die vorschnelle Erklärung Deutschlands, dass «jegliche Grundlage» fehle, und die Ankündigung, «intervenieren» zu wollen, befremdlich. Sein jahrzehntelanger Unwille, seine eigene Kolonialgeschichte aufzuarbeiten und die Niederschlagung der Herero- und Nama-Aufstände als Völkermord anzuerkennen, zeugt nicht gerade von einer moralischen Autorität in der für Deutschland ohnehin heiklen Frage.
Auch die namibische Regierung hat sich am Samstag auf der Plattform X mit einer Stellungnahme zu Wort gemeldet. Darin nennt sie die Entscheidung Deutschlands «schockierend» und lehnt «Deutschlands Unterstützung für die völkermörderischen Absichten des rassistischen israelischen Staates gegen unschuldige Zivilisten in Gaza ab».
In den sozialen Medien stellt sich die namibische Regierung so als Verbündete in einem antikolonialen Kampf dar und wird dafür von vielen glorifiziert. Das ist naiv. Ein Versöhnungsabkommen, das Namibia 2021 mit Deutschland geschlossen hat, wird von Vertreter:innen der Herero und Nama stark kritisiert. Sie bezeichnen das Abkommen als «Genozid-Deal», der die Interessen der Herero und Nama nicht berücksichtige, ihnen Mitsprache verwehre und keine direkten Reparationszahlungen zuspreche. Deshalb haben Vertreter:innen der beiden Volksgruppen die Regierung Namibias verklagt in der Hoffnung auf eine echte Reparation Deutschlands.