Brasserie Lorraine in Not – eine kleine Gastrokritik

Um die Brasserie Lorraine steht es finanziell nicht gut – ein Grund mehr, der Berner Kultbeiz einen Besuch abzustatten. Die «Brass» bietet neben ihrem regulären Wochenangebot auch einen Sonntagsbrunch an, für den wir uns an diesem sonnigen Morgen entscheiden. Kurz nach 10 Uhr sitzen drinnen schon einige Gäste, der lauschige Garten unter den Kastanienbäumen ist noch fast leer. Wir setzen uns an einen Tisch im Halbschatten. Ein äusserst freundlicher Kellner nimmt unsere Getränkebestellung auf. Der Kaffee kommt schnell (grosse Schale: 5.70 Franken), zusammen mit zwei grossen Gläsern Leitungswasser und der Menükarte. Die Testesserin entscheidet sich für veganen Rüeblilachs (6 Franken) und Gipfeli (2 Franken), die Begleitung hat Lust auf getoasteten Zopf mit Rührei (7.50 Franken).

Was das Servicetempo betrifft, hat die Brasserie Lorraine nicht den allerbesten Ruf. Auch heute warten wir eine ganze Weile, also lehnen wir uns zurück und schauen uns um: Da hängen einige Plakate mit QR-Code und der Aufschrift «Brass braucht Batzen». Pandemie und Teuerung haben auch der «Brass» zugesetzt. Dazu kommt der Coronakredit von 100 000 Franken, den die Beiz zurückzahlen muss – die Brasserie steht kurz vor dem Konkurs und sammelt nun Geld, um mittels Crowdfunding immerhin die Kreditschulden abzuzahlen.

Seit ihren Anfängen vor bald 43 Jahren ist die Brasserie Lorraine kollektiv und basisdemokratisch geführt. Bis heute ist sie mehr als nur eine Beiz: Die «Brass» ist Veranstaltungsort und Spunten, linker Treffpunkt und Auffangbecken, sie ist ein Daheim für viele – auch für solche, die an anderen Orten oft nicht willkommen sind. Hier muss auch nicht konsumiert werden, wenn das Portemonnaie es nicht hergibt. Oder anders gesagt: Für das Quartier und die ganze Stadt wäre die Schliessung der Brasserie Lorraine eine Katastrophe.

Unser Frühstück kommt. Der Rüeblilachs ist hausgemacht, relativ grob geschnitten, schön fettig und schmeckt durch die beigegebenen Algen fein nach Meer. Serviert wird er mit veganer Meerrettichcrème, die zwar sämig ist, aber gern etwas schärfer sein könnte, sowie mit frischen Zwiebeln und Kapern. Das Gipfeli ist vegan und in Ordnung. Der Zopf mit Rührei kommt als riesige Schnitte, die der Begleiter sofort runterschlingt: «Gut!» Wir trinken noch einen Espresso (4 Franken), dann verabschieden wir uns satt und zufrieden.

Die Abrechnung

Auf dem Menü: Solide linksalternative Küche mit vielen vegetarischen und veganen Angeboten: Focaccia, Chnoblibrot, Pommes, Seitankebab, Pasta sowie wechselnde Mittags- und Abendmenüs. Ungefähr neunzig Prozent des Essensangebots ist bio.

Batzen: Auch die «Brass» musste im letzten Jahr die Preise erhöhen, allerdings sind sie auch heute noch moderat und für das Gebotene angemessen. Wer die Beiz unterstützen möchte: CH59 0630 0140 6831 0467 5. Jeder Betrag hilft, jeder Besuch ebenfalls.

Erfreulich: Das Zeitungsangebot, das sich vom Üblichem abhebt: Neben dem «Bund», der «BZ» oder der WOZ finden sich hier etwa auch die «Zeit», «Der Freitag» oder «analyse & kritik» sowie eine Vielzahl an kleinen linken Blättern und Zeitschriften.

Eher weniger: Die manchmal langen Wartezeiten, ja. Aber man gewöhnt sich dran.