Deutschland im RAF-Fieber

Jetzt geht es Schlag auf Schlag: Seitdem am Montag vergangener Woche die mutmassliche ehemalige Angehörige der Rote-Armee-Fraktion (RAF) Daniela Klette nach mehr als dreissig Jahren im Untergrund festgenommen wurde, folgt in Berlin eine Durchsuchung auf die nächste. Mehrere Menschen wurden in den letzten Tagen vorübergehend festgenommen – darunter aber nicht Burkhard Garweg und Ernst-Volker Staub. Die beiden sollen wie Klette zur dritten Generation der RAF gehört haben und bleiben bislang untergetaucht.

Wie in einem anachronistischen Albtraum scheint derweil in der deutschen Öffentlichkeit das RAF-Fieber wieder ausgebrochen zu sein. Das polizeiliche Verfolgungsinteresse bezieht sich überwiegend auf Raubüberfälle, die das Trio zwischen 1999 und 2016 zur Finanzierung des Lebens im Untergrund verübt haben soll.

Medial stehen dagegen bis heute unaufgeklärte, der dritten Generation zugeschriebene Mordattentate im Vordergrund. Dabei erfährt der aus aktiven RAF-Zeiten bekannte Leitsatz, alle Mitglieder seien für alle Taten der Gruppe verantwortlich, eine ungute Revitalisierung. Etwa dann, wenn die Berichterstattung eine Beteiligung von Klette, Staub und Garweg an der Ermordung von Alfred Herrhausen, Chef der Deutschen Bank, im Jahr 1989 und des Treuhand-Chefs Detlev Karsten Rohwedder im Jahr 1991 insinuiert – obgleich ihnen eine solche bislang gar nicht vorgeworfen wird. Ein offener Haftbefehl der deutschen Generalbundesanwaltschaft, die für Staatsschutzsachen zuständig ist, bezieht sich offenbar auf andere Anschläge. Die Mitgliedschaft in der RAF ist verjährt.

Die Gruppe hatte sich 1998 selbst aufgelöst – dem war der Versuch einer Neuausrichtung vorausgegangen. Ein knappes Jahr nach dem Mord an Rohwedder hatte die RAF erklärt, dass sie auf tödliche Aktionen gegen Repräsentanten von Staat und Wirtschaft fortan verzichten wolle. Bei der spektakulären Sprengung des Gefängnisneubaus in Weiterstadt 1993, die Klette, Garweg und Staub zugeschrieben wird, hatte das RAF-Kommando das Wachpersonal überwältigt und in Sicherheit gebracht, bevor es zur Tat schritt.

An solcherlei historischer Kontextualisierung scheint momentan wenig Interesse zu bestehen. Ein Grossteil der medialen und politischen Öffentlichkeit gibt sich vielmehr dem Rausch der Gangsterjagd hin und verfolgt gebannt, wie die Polizei unerbittlich die linke Szene Berlins durchkämmt. Aus Reihen der Polizei wurden bereits Forderungen laut, die eigenen Befugnisse etwa beim Einsatz von KI-gestützter Gesichtserkennungssoftware zu erweitern.

Dabei existiert die RAF politisch nur noch als Erinnerung. Die Idee der Stadtguerilla, die mit der Gruppe wie mit keiner anderen in Deutschland assoziiert wird, hat heute innerhalb der radikalen Linken keinen Einfluss mehr. Auch die zwei Gejagten standen – wie die verhaftete Daniela Klette – schon lange nicht mehr für einen bewaffneten Kampf gegen die politische Ordnung, sondern nur noch für die Frage, was mit denen passiert ist, die diese Geschichte verschluckt, aber nicht wieder ausgespuckt hat.