Nemo: Was für ein Zeichen!
Vergangene Samstagnacht erlebten Herr und Frau Schweizer:in vor ihren Fernsehern ihr blaues Wunder. Es lief der Eurovision Song Contest, jene fröhlich-überdrehte Musikshow mit nationalistischem Überbau, die sich viele Menschen jedes Jahr ohne Hintergedanken anschauen.
Doch dieses Jahr war es anders: Die Person, die für die Schweiz antrat und schliesslich gewann, ist viel mehr als eine Kunstfigur in spektakulärem Outfit. Nemo ist genauso Künstler:in wie Botschaft. Eine Botschaft, die vielleicht noch nicht alle verstehen, aber spätestens nach dieser Nacht alle fühlen: Nonbinäre Menschen existieren, und sie haben ein Recht auf Anerkennung.
Ins Fühlen zu kommen, ist in der Schweiz keine willkommene Strategie. «Gschpürsch mi» ist ein erniedrigender Begriff, meistens gilt er jener «verweichlichten» Generation, zu der auch Nemo gehört. Mal abgesehen davon, dass niemand die Debatten rund um die Rechte queerer Personen emotionaler führt als deren Gegner:innen, hat das Fühlen aber ein transformatives Potenzial, das nicht zu unterschätzen ist. Wer in jener Samstagnacht vor dem Bildschirm mitfieberte, konnte sich Nemos Botschaft nicht entziehen. Das ist ein doppelter Triumph: Die Schweiz hat einen ESC-Titel und mit Nemo eine Person, die eine tragende Rolle im grassierenden Kulturkampf um Genderthemen einnehmen kann.
Denn natürlich hat Herr Schweizer die weiss-lila-gelb-schwarze Flagge gegoogelt, die Nemo in den Saal schmuggelte und während der Preisverleihung immer wieder in die Kamera hielt. Hat gehört, wie Nemo an der Pressekonferenz nach der Show sagte, dass der erste Telefonanruf nun Bundesrat Beat Jans gelte – um über die Möglichkeit eines dritten Geschlechtseintrags zu reden. Ein Anliegen, das 12 000 Menschen (Stand: Montagnachmittag, 16 Uhr) in einem offenen Brief an Bundesrat und Parlament mitfordern.
Der ESC verkauft sich stets als unpolitische Veranstaltung. Dass Nemo gewonnen hat, ist ein unglaublich hoffnungsvolles Zeichen. Dass sich die Schweizer Bevölkerung nach diesem Sieg über dringend nötige Fragen unterhält, ebenso.