Slowakei: Schüsse in vergiftetem Politklima
Der slowakische Regierungschef Robert Fico ist gestern Nachmittag auf offener Strasse niedergeschossen und schwer verletzt worden. Fico befindet sich nach einer mehrstündigen Operation aktuell ausser Lebensgefahr. Das politische Attentat mitten in Europa, mutmasslich begangen von einem umgehend gefassten 71-jährigen ehemaligen Wachmann und Schriftsteller, hat auf dem ganzen Kontinent Schockwellen ausgelöst und ist von allen Seiten scharf verurteilt worden.
In der Slowakei sitzt der Schock tief, sämtliche Parteien verurteilten den Anschlag umgehend und wünschten Premier Fico von der linksnationalen Smer-Partei eine rasche Genesung. Doch es waren auch schrille und aggressive Töne deutlich hörbar. Andrej Danko, Vorsitzender der extrem rechten und pro-russischen Regierungspartei SNS, reagierte mit einer Kriegserklärung an die Opposition, die ebenso schuld sei am Attentat wie kritische Journalist:innen, die er als «abstossende Schweine» bezeichnete.
Dieser ausfällige Tonfall eines ranghohen Politikers ist beileibe keine Ausnahme. Vielmehr ist die politische Debatte in der Slowakei schon länger so gehässig und vergiftet wie kaum sonst wo in Europa. «Hetze, Prügeleien, Drohungen», so fasste das ZDF den Wahlkampf in der Slowakei vom letzten Herbst zusammen. Und Robert Fico trägt eine Mitverantwortung, so sicherte er sich im letzten September den Wahlsieg auch mit einer äusserst aggressiven Kampagne gegen die liberale Präsidentin Zuzana Čaputová («amerikanische Agentin»).
Der 59-jährige Fico bestreitet bereits seine vierte Amtszeit, er ist die prägendste politische Figur des Landes der letzten zwei Jahrzehnte. Fico gilt als eher russlandfreundlich und eifert mit seinen zunehmend autoritären Tendenzen immer offenkundiger dem ungarischen Regierungschef Viktor Orbán nach. Es ist ein Kurs, den viele, aber längst nicht alle Slowak:innen unterstützen. Die Stimmung ist entsprechend aufgeheizt, die Gesellschaft tief gespalten. In den letzten Monaten kam es vor allem in der Hauptstadt Bratislava zu grossen Protesten gegen die von Fico geplante Zerschlagung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks.
Die heftigen Reaktionen der Regierungsparteien Smer und SNS gegenüber Opposition und Medien nach dem Attentat auf Fico deuten darauf hin, dass sich die Lage im mitteleuropäischen Land nicht endlich beruhigen wird. Im Gegenteil, sie scheint sich fatalerweise eher noch zu verschärfen.