Jositsch und die armen Student:innen

Die Frage ist schon lange nicht mehr, ob Daniel Jositsch doch noch Bundesrat wird. Oder wie lange er noch Mitglied der sozialdemokratischen Partei bleibt. Vielmehr darf man sich fragen, ob man einen solchen Rechtsprofessor noch auf Student:innen loslassen darf.

Gestern hat die ständerätliche Rechtskommission eine Erklärung abgegeben: ein äusserst seltener politischer Vorgang, der üblicherweise bei Kriegen oder anderen innen- und aussenpolitischen Ereignissen von grosser Tragweite zur Anwendung kommt. Dafür gestimmt hat laut dem «Tages-Anzeiger» eine Mehrheit aus SVP, FDP, Mitte-Partei – und eben Daniel Jositsch. In einem Krieg scheint sich die Kommission indes tatsächlich zu wähnen, und zwar mit den Richter:innen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) in Strassburg, dem die Schweiz selbst angehört.

Was die Ständerät:innen so dermassen stört, dass sie nun ein solch aussergewöhnliches Zeichen setzten, ist das «Klimaseniorinnen-Urteil» des EGMR vom April: Die Schweiz tue nicht genug, um ältere Frauen vor den Folgen der Klimaerhitzung zu schützen. In ihrer Erklärung fordern die Parlamentarier:innen, das Urteil des Gerichtshofs schlichtweg zu ignorieren, schliesslich handle es sich beim Verdikt um «unzulässigen gerichtlichen Aktivismus», bei dem die Anwendung der Europäischen Menschenrechtskonvention «überdehnt» worden sei.

Das Urteil, wonach der Klimaschutz ein Menschenrecht ist, eben weil die Gesundheit als Menschenrecht gefährdet wird, ist eine so unbequeme wie zutreffende Schlussfolgerung. Natürlich kann man sie – ebenso wie die Klimaerwärmung selbst – ignorieren; es fällt in Zukunft einfach auf einen selbst zurück. Mit ihrer Erklärung verletzten die Ständerät:innen zudem die Gewaltenteilung. Als Politiker mag Jositsch dieses demokratische Grundsatzmittel gegen Machtmissbrauch durchaus infrage stellen – weltweit gibt es für diese Haltung ja diverse autoritäre Vorbilder. Für seine Zukunft als Rechtsprofessor stellt sich aber dann doch eine entscheidende Frage: Wie, bitte, will er seinen Student:innen erklären, Urteile, die einem nicht passen, seien einfach zu ignorieren?

Es ist zu hoffen, dass der Ständerat dem Anliegen der Kommission nicht folgt. In letzter Konsequenz führt diese Position nämlich nicht nur dazu, dass – wie von der SVP gewünscht – der EGMR abgeschafft wird. Sondern der Rechtsstaat gleich mit.