Die Biodiversitätsinitiative sei unnötig. Bund, Kantone und Landwirt:innen täten schon genug für die Vielfalt. Vor der Abstimmung vom Sonntag wiederholt SVP-Bundesrat Albert Rösti diese Sätze bei jeder Gelegenheit. Nun hat eine Recherche der «NZZ am Sonntag» gezeigt, dass sich ausgerechnet der Bruder des Bundesrats, Landwirt Hans Rösti, weigert, auf der Alp seiner Genossenschaft in Kandersteg schutzwürdige Flächen richtig zu bewirtschaften.
Auf der Alp befinden sich sogenannte Trockenwiesen und -weiden von nationaler Bedeutung (TWW), auf denen viele verschiedene Pflanzen wachsen. Damit solche Flächen erhalten bleiben, schliessen die Kantone mit den Landwirt:innen Bewirtschaftungsverträge ab. Doch für einen Teil der Alp will Hans Rösti keine Vereinbarungen. Er will dort Gülle ausbringen.
Die «NZZ am Sonntag» zitiert zwei sogenannte Bauernvertreter, SVP-Nationalrat Ernst Wandfluh und Bauernverbandspräsident und Mitte-Nationalrat Markus Ritter. Beide betonen, Röstis Praxis sei kein Problem. Ein wenig Dünger könne die Artenvielfalt sogar erhöhen, meint Ritter.
Wandfluh und Ritter haben entweder keine Augen für das, was auf ihren Wiesen wächst – oder sie gehen davon aus, dass NZZ-Leser:innen keine Ahnung vom Thema haben. Jede:r Landwirt:in weiss, dass Gülle – die flüssige Mischung aus Kuhmist, Kuhurin und Wasser – völlig anders wirkt als trockener Mist, etwa die Kuhfladen, die beim Weiden liegen bleiben. Bis ins 20. Jahrhundert war Mist, vermischt mit Stroh oder Laub, der übliche Dünger. Die Pflanzen nehmen ihn langsam auf, in kleinen Mengen kann er die Pflanzenvielfalt tatsächlich erhöhen.
Dann kamen die sogenannten Schwemmställe in Mode, in denen man alle Ausscheidungen schnell und praktisch mit dem Wasserschlauch in ein Loch spülen kann. Das Resultat: Gülle. Auf der Wiese wirkt sie ganz anders als Mist. Natürlich kommt es auch auf die Menge an, aber grundsätzlich lässt sich sagen: Von Gülle profitieren einige wenige Pflanzen enorm, alle anderen verschwinden. So entsteht die typische artenarme Fettwiese. Die bis Mitte des 20. Jahrhunderts übliche Wiese, mit etwas Mist gedüngt und voller Blumen, ist so selten geworden, dass sie vielerorts unter Schutz steht. Noch seltener sind gar nicht (oder nur mit liegen gebliebenen Kuhfladen) gedüngte Wiesen und Weiden. Schon ein einziger Gülleeinsatz lässt ihre Blumen auf Jahrzehnte hinaus verschwinden. Wer auf einer Trockenweide von nationaler Bedeutung Gülle ausbringt, zerstört mutwillig Vielfalt.
So widerlegt Hans Rösti ganz handfest, was sein Bruder behauptet.