Ein Preis für alte, weisse Männer

Diese Woche werden diejenigen gewürdigt, «die im vergangenen Jahr der Menschheit den grössten Nutzen gebracht haben». So jedenfalls will es das Testament des Preisstifters Alfred Nobel. Im Bereich der Naturwissenschaften gilt der nach ihm benannte Preis als besonders prestigeträchtig – stehen die Träger:innen doch in einer Traditionslinie mit Wissenschaftsgrössen wie Koch, Röntgen und Einstein.

Traditionsreich oder doch vor allem überholt? Seit einiger Zeit wird jedes Jahr dieselbe Kritik laut: Zu alt, zu weiss, zu männlich seien die Laureat:innen, zu undurchsichtig und zu westlich orientiert das Auswahlverfahren. Die Akademie orientiere sich an der männlichen Genieformel – einer völlig veralteten Vorstellung von einem genialen Forscher, dem, allein im stillen Kämmerlein vor sich hin tüftelnd, der ganz grosse wissenschaftliche Wurf gelingt. Die Zahlen zeigen: Das Verhältnis von Preisträgerinnen zu Preisträgern steht schief. Bis heute sind bloss fünf Prozent aller Preisträger:innen Frauen. Und die Tendenz stimmt hoffnungslos.

Wissenschaftlerinnen werden bei der Vergabe des Nobelpreises kaum berücksichtigt. Manchmal werden sie sogar bestohlen. «Natürlich gab uns Rosy ihre Daten nicht direkt», legt der Wissenschaftler James Watson in seinem Buch «Die Doppelhelix» (1968) schamlos offen. Für die Entschlüsselung der DNA-Struktur war Watson, zusammen mit Francis Crick und Maurice Wilkins, einige Jahre zuvor mit dem Nobelpreis für Medizin belohnt worden. Weitgehend in Vergessenheit geriet dagegen die britische Biochemikerin Rosalind Franklin, der es mit dem legendären «Foto 51» gelungen war, mittels Röntgenaufnahme die Struktur der DNA sichtbar zu machen. Als Naturwissenschaftlerin musste sich Franklin in einer Männerdomäne behaupten. Ein frauenfeindliches Arbeitsklima und ein Forschungswettstreit mögen ebenfalls ihren Teil dazu beigetragen haben, dass es möglich war, «Foto 51» damals aus ihrem Büro zu entwenden. Es fiel schliesslich in die Hände von James Watson. Und nur dank Franklins Foto und Berechnungen gelang diesem der entscheidende Durchbruch, für den er mit dem Nobelpreis ausgezeichnet wurde.

Von der DNA zur RNA: Mit der Entdeckung der microRNA haben Victor Ambros und Gary Ruvkun neuen Therapieansätzen in der Medizin, etwa zur Behandlung von Krebs, den Weg geebnet. Seit vergangenem Montag gehören die beiden Wissenschaftler zu den nun 229 Menschen, die für ihre ausserordentlichen Leistungen schon mit einem Medizinnobelpreis ausgezeichnet worden sind – 13 davon sind Frauen. Der Nobelpreis zementiert so das Bild der Naturwissenschaft als Männerdomäne. Louise Tilley, der es dieses Jahr gelungen ist, ein neues Blutgruppensystem zu etablieren, ging im Rennen um den prestigeträchtigen Preis leer aus. Ob die englische Wissenschaftlerin überhaupt nominiert wurde, wissen wir frühstens 2074 – wenn die Akten aus dem Archiv der Akademie freigegeben werden.

Mehr zu Rosalind Franklin: SWR Kultur: «Wie Rosalind Franklin um den Nobelpreis betrogen wurde – Vergessene Entdeckerin der DNA-Struktur».
Leonie Schöler: «Beklaute Frauen. Denkerinnen, Forscherinnen, Pionierinnen: Die unsichtbaren Heldinnen der Geschichte». (Penguin Verlag. 2024.)