Werksschliessungen als Brandbeschleuniger

Bei den VW-Arbeiter:innen, zum Beispiel in meiner Heimatstadt Zwickau, Standort des Elektroauto-Vorzeigewerks, geht die Angst um. Fehler des Managements sollen durch Reduzierung von Personalkosten, also Stellenabbau, ausgeglichen werden. Und das, während der Konzern 2023 Milliardengewinne eingestrichen hat. Volkswagen droht mit Werksschliessungen. Was heisst das für uns als Zivilgesellschaft?

Vor ziemlich genau fünf Jahren besuchte die damalige Kanzlerin Angela Merkel das Zwickauer VW-Werk, das ich vor allem aus den Geschichten meines Papas, Industriemechaniker in der örtlichen VW-Instandhaltung, kenne. Stolz verkündete Merkel damals: «Ich bin sehr froh, hier heute mit dabei zu sein. Ich freue mich auch ganz persönlich als jemand, der aus der ehemaligen DDR kommt, dass Zwickau das Flaggschiff des Wandels in der Mobilität ist.» Kurz darauf besuchte sie den neu errichteten Erinnerungsort für die Ermordeten des rassistischen NSU-Terrors. Die Naziterroristen waren jahrelang in Zwickau unentdeckt untergetaucht. Unsere Frage damals: Hätte Merkel der Opfer auch gedacht, wenn nicht gerade der Industrietermin auf ihrem Plan gestanden hätte?

Allein das Stellen dieser Frage zeigt deutlich: Ohne Volkswagen lägen Orte wie Zwickau und der mit Zulieferern durchzogene Landkreis brach. Warum mich das besorgt? Weil Transformations- und Abstiegsängste zu einer weiteren klimafeindlichen und rassistischen Eskalation führen könnten. Schon jetzt sind die Stimmen derer lauter geworden, die sagen: «Nach dem gescheiterten Elektroauto-Umstieg müssen wir zurück zum Verbrenner – die Zuwanderung zerstört unsere Wirtschaft!»

Berechtigte Kritik am Elektroauto hin oder her: Ein Schritt zurück zu fossiler Mobilität in einer von der Klimakatastrophe bedrohten Welt hat keine Zukunft. Hinzu kommt: Fachkräfte aus dem Ausland, gerade in Ostdeutschland, schwächen die demografische Krise zumindest etwas ab. Gerade deshalb wäre es, auch im Kontext der drohenden Werksschliessungen, so wichtig, eine gemeinsame Erzählung zu stärken, die für die Krise nicht vermeintliche Ausländer oder eine nachhaltige Klimapolitik verantwortlich macht, sondern das turbokapitalistische, unverantwortliche Handeln des VW-Managements.

Ich bin es leid, dass die Ursachen des Rechtsrucks und der Stärke der AfD in neoliberalen Erzählweisen oft monokausal als Bildungsdefizit deklariert werden. Ja, politische Bildung kommt oft zu kurz; aber nein, zivilgesellschaftliche Arbeit sollte nicht nur daraus bestehen, Bildungsarbeit zu leisten. Sie muss reale Nöte und Ängste ernst nehmen und daran anknüpfend kollektive Handlungshorizonte aufzeigen. Wenn wir es als Antifaschist:innen nicht schaffen, einen klimagerechten Arbeitskampf zu stärken, verbreitet sich der ungezügelte AfD-Hass weiter: Jede Kürzung bei Volkswagen wirkt dann in Städten wie Zwickau wie ein zerstörerischer, faschistischer Brandbeschleuniger.

Jakob Springfeld (22) ist eines der Gesichter der linken Gegenöffentlichkeit Ostdeutschlands. Sein 2022 erschienenes Buch «Unter Nazis» trägt auch deshalb den Untertitel «Jung, ostdeutsch, gegen Rechts». In seiner wöchentlichen Kolumne berichtet er bis zum Jahresende jeweils freitags aus seiner Lebensrealität als antifaschistischer Aktivist in Sachsen.