Live am TV: Das Ende der Ampel

Es heisst ja gerne, das lineare Fernsehen habe keine Zukunft. Bis gestern die ARD das Gegenteil demonstrierte: Da konnte man nämlich live am Fernsehen zuschauen, wie gerade eine Koalitionsregierung zerbricht. Es begann mit der «Tagesschau» um 20 Uhr. Die handelte natürlich fast ausschliesslich von der Trump-Wahl, bis am Ende der Moderator plötzlich meldete, es sei jetzt noch eine Nachricht der «Bild»-Zeitung eingetroffen: Christian Lindner habe im Ausschuss der Ampelkoalition den Antrag auf Neuwahlen gestellt.

Auf die «Tagesschau» folgte die Sendung «Brennpunkt», die sich natürlich zuerst ebenfalls mit den Wahlen in den USA beschäftigte, in einem Beitrag über zwei Hühnerzüchterinnen in Pennsylvania etwa, die an der gleichen Strasse wohnen, die eine wählte Trump, die andere Harris, und seit Jahren sprechen die nicht mehr miteinander. Echt sehenswert, die Auseinandersetzungen in der US-Gesellschaft beispielhaft erzählt als nachbarschaftlicher Hahnenkampf. Es gab in der Sendung auch sehr kluge und leider auch besorgniserregende Analysen des Historikers Thomas Zimmer zu hören, wie nun Donald Trump mit dem Plan «Project 2025» die Institutionen sprengen will. Das ist ja auch der Grund, warum es sich derzeit meist eher lohnt, ARD und ZDF zu schauen statt SRF, wo Leute wie Markus Somm als USA-Expert:innen gelten – von dessen Dauergeschwätz kann man nun leider überhaupt nichts lernen. Doch zurück zum Thema also beziehungsweise dem Themenwechsel.

Zunehmend drangen in den «Brennpunkt» nicht mehr Nachrichten zur USA ein, sondern aus Deutschland: Der Berlin-Korrespondent berichtete vor dem Kanzleramt über den neusten Stand der Entwicklung, dass allenfalls nicht Lindner einen Antrag auf Neuwahlen gestellt habe, sondern Olaf Scholz ihn wegen der sturen Haltung zur Schuldenbremse aus der Regierung geworfen habe. Nun sollte sich eigentlich die Talkshow «Maischberger» wiederum der USA annehmen, bloss äusserten sich die dort geladenen Gäste nur noch über Deutschland, bis die Sendung plötzlich abrupt von Scholz’ offiziellem Statement unterbrochen wurde.

Zwar folgte die Schaltung zu dessen Rede spät, aber im richtigen Moment, just als Schlafmütze Scholz zum besten Rant seiner Politikerkarriere ansetzte und Lindner wahlweise als verantwortungslos, egoistisch und kleinkariert beschimpfte. Weitere Statements folgten, zuerst von Robert Habeck und Annalena Baerbock, die mit ihrer Grünentruppe hastig vor einem Bauzaun sprach, als sei gerade die ganze Republik im Umbruch. Auch Lindner trat vor die Kameras, beschimpfte unter der Kuppel des Bundestages wiederum Scholz und drängte auf Budgetdisziplin: Man wünscht dem liberalen Ideologen wirklich alles Gute für die Zukunft und vielleicht eine Privatdozentur am Institut für Wirtschaftspolitik IWP in Luzern, diesem Museum für überholte ökonomische Konzepte, wo er auch schon als Ehrengast begrüsst wurde.

Zwei Stunden dauerte die Sendung am Ende statt der geplanten 45 Minuten, souverän moderiert von Ellen Ehni. Die Einsicht: Es geht weltweit gerade sehr vieles durcheinander. Auf die glücklose Ampel dürfte in Deutschland angesichts der politischen Stimmung leider kaum eine progressivere Regierung folgen. Immerhin: Das Fernsehen lebt!