Österreich: Doch noch eine Chance

Mit den Worten «Make Europe Great Again!» wandte sich Herbert Kickl noch vor wenigen Tagen selbstbewusst grinsend und demonstrativ seinen Bizeps präsentierend an die Teilnehmer:innen eines Kongresses rechtspopulistischer und rechtsextremer Parteien in Madrid. Der FPÖ-Chef war per Videobotschaft zugeschaltet worden.

Nun, nachdem die Koalitionsverhandlungen seiner FPÖ mit der ÖVP geplatzt sind, ist aus dem selbsternannten «Volkskanzler» sichtlich die Luft raus. Bei einer Pressekonferenz versucht er gestern Abend mit einer schier endlosen Suada der ÖVP die ganze Schuld zuzuschieben – so lange, bis der ORF die Liveübertragung irgendwann abrupt abdrehte.

Gescheitert sind die Gespräche letztlich am Ringen um Regierungsämter, vor allem ums Innenministerium, das beide Parteien beanspruchten. Es hatte sich jedoch schon seit rund einer Woche abgezeichnet: Man kam für nur wenige Stunden zusammen und liess Journalist:innen vor den Türen von Verhandlungsräumen warten, die man längst durch die Hintertür verlassen hatte. Schliesslich richtete man sich Angebote und Gegenangebote, rote Linien und Verhandlungsultimaten über die Medien aus.

Für Österreich ist das eine gute Nachricht: Die liberale Demokratie hat noch einmal eine Chance. Denn am Wochenende geleakte Verhandlungsprotokolle hatten gezeigt, wie ernst es die FPÖ mit einem Umbau nach dem Vorbild des ungarischen Autokraten Viktor Orbán meinte. Die Partei wollte den öffentlichen Rundfunk durch Finanzierung aus dem Staatsbudget an die Kandarre nehmen, die EU-Integration des Landes stoppen und auf «österreichspezifische Ausnahmen» von den Russlandsanktionen hinwirken. Teilweise wollte die ÖVP dabei auch mitgehen – etwa bei einer faktischen Aufhebung des Asylrechts, der Herabsetzung des Strafmündigkeitsalters auf zwölf Jahre oder einem Verbot für Journalist:innen, aus Ermittlungsakten zu zitieren.

Nach der längsten Regierungsbildungsperiode aller Zeiten steht in Österreich damit wieder alles auf Anfang. Nun ist Bundespräsident Alexander Van der Bellen am Zug, der für die nächsten Tage weitere Gespräche mit allen Parteien ankündigte und vier Möglichkeiten nannte: Neuwahlen, eine Minderheitsregierung, ein Kabinett aus Expert:innen oder ein abermaliger Anlauf zu einer Regierungsbildung unter den im Herbst gewählten Parteien. Nachdrücklich mahnte er dabei die Notwendigkeit von Kompromissen und den Ausgleich unterschiedlicher Interessen in der liberalen Demokratie an.

Wer will, kann die Mahnung vor allem an die Adresse der ÖVP gerichtet sehen. Nachdem sich die Konservativen mit den Grünen noch in der letzten Regierung überworfen hatten, blicken sie inzwischen auch mit allen anderen Parlamentsparteien auf gescheiterte Verhandlungen zurück. Denkbar wäre, dass die ÖVP nun wieder mit der SPÖ redet – wobei erste Forderungen laut werden, diese müsste dazu ihren Obmann Andreas Babler auswechseln, den die Konservativen für das Scheitern der letzten Gespräche verantwortlich machen, weil er eine Budgetsanierung ohne das Heranziehen Vermögender, von Grosskonzernen und Banken ablehnte. Zeigt sich die ÖVP hier weiter kompromisslos, könnte sie ihr verantwortungsloses Spiel mit der Republik noch mehr in die Länge ziehen.