Unsere Revolution
Seit knapp fünf Jahren habe ich die Revolution abonniert. Unsere eigene Revolution natürlich, die zähe linke Hoffnung, dass eine andere, eine gerechtere Welt möglichst ist. Ich muss das klarstellen, weil immer mehr US-Medien das R-Label für die hoffnungslose Maga-Politik verwenden, die hierzulande gerade alles auf den Kopf stellt. Das Wirtschaftsmagazin «The Economist» zum Beispiel schreibt: «Mr. Trump befehligt ein revolutionäres Projekt, das den Umbau und die Neugestaltung von Wirtschaft, Bürokratie, Kultur und Aussenpolitik, ja sogar der Idee von Amerika selber anstrebt.» So kann man es auch sagen.
Ich unterstütze dagegen die von Bernie Sanders 2016 gegründete Organisation «Our Revolution», deren Ziele eher sozialdemokratisch denn radikal sind: die Stimmbürger:innen besser informieren, mehr Menschen in den politischen Prozess einbringen, progressive Kandidaturen unterstützen. «Our Revolution» ist für mich so etwas wie ein Bindeglied zwischen parlamentarischer und ausserparlamentarischer Opposition. Nach der Ermordung des Afroamerikaners George Floyd am 25. Mai 2020 (im letzten Jahr von Trumps erster Regierungszeit!) schien es mir besonders wichtig, nicht bloss mit Black Lives Matter auf der Strasse gegen die Polizeigewalt zu protestieren, sondern, komme was wolle, beharrlich auch institutionell in eine bessere Zukunft zu investieren. Und sei es auch nur mit bescheidenen zehn Dollar im Monat.
Was ich nicht voraussah, war die Flut «revolutionärer» Werbung, die mich seither täglich erreicht. Alles, was in den USA links der politischen Mitte Rang und Namen hat, schickt mir nun Mails, Texte und Robocalls, die mich zur Schlüsselfigur der Gesellschaftsveränderung hochstilisieren. Ich soll Umfragen ausfüllen (und spenden), Sticker an mein Auto kleben (und spenden) sowie organisieren, agitieren, Widerstand leisten (und spenden). Ich klicke geduldig alles weg. Denn ich finde es immer noch wichtig, eine nachhaltige, progressive Basisbewegung aufzubauen. Und ich teile grundsätzlich die Idee des Gründers: «Wir kämpfen gegen die Oligarchen und ihren unbegrenzten Reichtum, gegen das Amerika der Konzerne und die Medien in ihrem Besitz. Wir bekämpfen Trump und die Republikanische Partei. Und wir stellen uns gegen den verkrusteten Teil der Demokratischen Partei, welche sich nicht von ihrer Top-down-Politik lösen kann, gegen ihre superreichen Wahlspenderinnen und -spender und auch gegen ihre mächtigen Lobbygruppen, die Super-Pacs.»
Ob mein Politabo unserer Revolution etwas nützt? Nach jeder US-Wahl (bei der ich mangels US-Bürgerrecht nicht direkt mitmachen kann) feiere ich progressive Erfolge ein wenig als Sieg «meines Teams». Und wenn Bernie Sanders und Alexandria Ocasio-Cortez so wie jetzt durch die Lande reisen, um die Oligarchie zu bekämpfen und Proteste zu organisieren, stelle ich mir vor, dass sie ab und zu einen von mir finanzierten Kaffee schlürfen. Mehr nicht.
Kann übrigens sein, dass die Tage von «Our Revolution» gezählt sind, denn die NGO nutzt wie die meisten linken US-Organisationen die Spendensammlungsplattform «ActBlue». Dass diese in den letzten drei Monaten mehr als 400 Millionen Dollar an Kleinspenden eingenommen hat, ist Donald Trump, der lieber auf das grosse Geld zählt, ein Dorn im Auge. Sein Justizdepartement soll gegen «ActBlue» wegen betrügerischer Machenschaften ermitteln. Gelingt es ihm, die Plattform stillzulegen oder einzuschüchtern, wird ein wichtiges finanzielles Standbein des politischen Gegners, von der basisorientierten Linken bis zur Demokratischen Partei, abgesägt.
An dieser Stelle lesen Sie immer freitags «Fussnoten aus dem Trumpozän» von Lotta Suter. Die Mitbegründerin sowie langjährige Redaktorin und Auslandskorrespondentin der WOZ lebt seit vielen Jahren im US-Bundesstaat Vermont. Von dieser ländlichen Peripherie aus schreibt sie bis Mitte Juli ihre Kolumne, in der sie dem Echo der Politik in Washington lauscht.