Ulrich Ritzel: In Ulm und um Ulm und um Ulm herum

Der ehemalige Gerichtsreporter aus Süddeutschland erzählt in «Der Hund des Propheten» den vierten Fall für Kommissar Berndorf.

Begegnet ist man dem Propheten schon vor einem halben Jahrzehnt in «Der Schatten des Schwans»: Damals diente Jonas Seiffert noch als Ortsvorsteher von Waldhülen, einem Nest auf der Schwäbischen Alb, wo sich, wie es so schön heisst, Fuchs und Has gute Nacht sagen. Seinen Beinamen «Prophet» verdankt der Polizist weniger seinem detektivischen Spürsinn als vielmehr seiner Neigung zu pie­tistischen Predigten. Damit allerdings hat es nun ein Ende, denn Seiffert liegt erst schwer krank im Ulmer Krankenhaus und später auf dem Friedhof zu Waldhülen, wo ihm sein Kollege Berndorf die letzte Ehre erweist.

Nur weil sich vor dem Krankenhaus allwöchentlich der Posaunenchor zur Erbauung der Kranken trifft und der alternde Boxer Felix am Grab des Propheten ausflippt, interessiert sich der gerade pensionierte Kommissar überhaupt noch für die kriminalen Dinge in Ulm und um Ulm herum. Zum Beispiel dafür, was ihm der heruntergekommene Journalist und Sexfotograf Hollerbach vor seinem unfreiwilligen Tod zu sagen gehabt hätte; warum der Posaunenchor einen evangelischen Pfarrgemeinderat in Aufruhr versetzt; was es mit der Sinti­familie auf sich hat, aus der Paco stammt, und was mit der merkwürdigen Hilfsorganisation, die so uneigennützig Landmaschinen in den Kosovo und den Kongo verschickt.

Zwischen «Der Schatten des Schwans» und «Der Hund des Propheten» hat man Kommissar Berndorf schon ziemlich gut kennen gelernt und auch die Gegend, in der er agiert, die Schwäbische Alb zwischen Ulm und Tübingen. Man weiss, dass die Leute dort so ehrlich und unehrlich sind wie sonstwo in Deutschland – aber auch, dass sie eben doch ein bisschen speziell «ticken». Sie lauschen auf dem Marktplatz durchaus einem Propheten, aber weil sie in der pietistischen Provinz leben, haben sie eben auch furchtbar Angst, dass das durch die Fotos publik wird. Dabei sind die Fotos nur das Fädchen, das, einmal gezogen, ein verwirrtes kriminelles Gewirke aufrollt: Stasi-Altlas­ten und Waffenschmuggel, Erpressung, Bestechung und eine Leiche in einem alten Bombenkrater.
Eigentlich hat Berndorf schon Schluss gemacht mit dem Dienst, will sich zu seiner Professorenfreundin Barbara nach Berlin zurückziehen und seiner Kollegin Tamar Wegenast die Ulmer Unterwelt sowie den ständigen Ärger mit den Kriminalfunktionären Englin und Steinbronner überlassen. Auch Tamar Wegenast ist keine Unbekannte, man hat ihr lesbisches Coming-out und die Romanze mit Hannah noch gut in Erinnerung. Diese allerdings treibt nun gerade ihrem leidvollen Ende zu, und dass der melancholische Pensionist Bern­dorf, statt Montaigne und Lichtenberg zu lesen, nun in alten Zeitungsakten stöbert, versetzt Tamar auch nicht gerade in bessere Stimmung.

Was an diesem vierten Krimi des spät berufenen Ulrich Ritzel einmal mehr besticht, ist die detailfreudige Ausleuchtung des kleinbürgerlichen Provinzalltags, seine mimetische Sensibilität für die Figuren, die burleske Überzeichnung nicht scheut. Mag der Fall in seinen unübersichtlichen Verflechtungen mitunter auch etwas konstruiert erscheinen und sich manches Klischee eingeschlichen haben, überzeugend bleibt das Personal. Dazu gehören nicht nur Berndorf und das Ulmer Polizeiteam, sondern auch die vielen authentisch wirkenden, aus der Region geschöpften Nebenfiguren, die dem Roman, über den Plot hinaus, Spannung verleihen. Dass der ehemalige Ulmer Gerichtsreporter Ritzel gelernt hat, Menschen zu beobachten und auszudeuten, verwundert nicht. Doch der lange Atem und die sprachliche Versiertheit, mit der Charaktere über viele hundert Seiten entwickelt werden, überraschen. Dies sind im schnelllebigen journalistischen Geschäft eher seltene Gaben.

Der Hund des Propheten. Libelle-Verlag. Lengwil 2003. 445 Seiten. ca. 32 Franken. Auch als Taschenbuch erhältlich