US-Wahlen: Die Wahl als Juristenfutter
Dieses Mal sind die DemokratInnen gegen Tricks und Manipulationen gewappnet.
Massenhaft entzogene Wahlberechtigungen, Polizeibarrikaden, verschwundene oder ungültig gemachte Stimmzettel in den Hochburgen der afroamerikanischen DemokratInnen, lachhaft viele Stimmabgaben für den Antisemiten Buchanan in jüdischen Vierteln – solche und ähnliche Fälle, wie sie sich bei den Präsidentschaftswahlen vor vier Jahren im Bundesstaat Florida zutrugen, soll es nach dem festen Willen vieler AnhängerInnen der Demokratischen Partei nicht mehr geben. «Gestohlene Wahlen – dieses Mal lasst uns vorbereitet sein» ist dabei nur die jüngste Initiative, die Prominente wie der Bürgerrechtler Jesse Jackson und der Filmemacher Michael Moore, aber auch der Gewerkschaftsbund AFL-CIO sowie die Dachorganisation der Friedensbewegung United for Peace and Justice unterzeichnet haben. Kommt es erneut zum Wahlbetrug, so soll in den ganzen USA vor Wahllokalen, Parteibüros und Regierungsgebäuden demonstriert werden. Das Florida-Debakel, die Tricks der RepublikanerInnen und die rechten Seilschaften bis ins Oberste Gericht, das die Stimmzettelnachzählung in Florida gestoppt und George Bush zum Präsidenten ernannt hatte, haben vor allem die AfroamerikanerInnen und ihre Organisationen nicht vergessen. Die altehrwürdige schwarze Bürgerrechtsorganisation NAACP, aber auch finanziell gut ausgestattete nichtstaatliche Organisationen wie People for the American Way wollen mit maximaler Präsenz zumindest in den umstrittenen Swing States sicherstellen, dass die WählerInnen ihren Weg ins Wahllokal finden, nicht eingeschüchtert werden und die entsprechenden Unterlagen entziffern können. Das Wahlkampfteam von John Kerry hat 10000 AnwältInnen engagiert, die Beschwerden von Wählerinnen und Wahlbeobachtern unverzüglich nachgehen und gegebenenfalls sofort bei örtlichen Gerichten intervenieren. Bis zu 150000 Rechtsexpertinnen, Jurastudenten und andere Freiwillige werden laut Schätzungen am Wahltag in den acht meist umkämpften Staaten die Augen und Ohren offen halten. Neben den Wahlfälschungen, wie sie in Florida aufgetreten sind, befürchten die AktivistInnen die Einschüchterung von WählerInnen im Wahllokal, die Manipulation von Briefwahlstimmen (Missouri erlaubt Militärangehörigen in Übersee beispielsweise die Stimmabgabe durch die blosse Fax-Verschickung), und die Manipulation von elektronischen Stimmzählmaschinen, bei denen keine Papierquittungen ausgedruckt werden. Der ehemalige US-Präsident Jimmy Carter, dessen Carter Center in Atlanta jährlich fünf Wahlen weltweit beobachtet, hatte sich nach den letzten US-Präsidentschaftswahlen für Reformen stark gemacht. Die offizielle Reaktion darauf war der vom Kongress verabschiedete Help America Vote Act vom Oktober 2002. Darin sind jedoch die Schlüsselempfehlungen Carters nicht aufgenommen worden. Das Gesetz wurde darüber hinaus mangels Finanzen nie richtig umgesetzt. Ende September warnte Jimmy Carter in der Zeitung «Washington Post» deshalb vor einem neuen Wahlchaos in Florida – ausgerechnet dort, wo gemäss Meinungsumfragen eine Woche vor der Wahl zwischen Bush und Kerry eine Pattsituation herrscht.
Wie vor vier Jahren kontrolliere in Florida statt einer unabhängigen Wahlkommission eine Bush-freundliche Politikergruppe das Wahlprozedere, und auch die Stimmenzähltechnik entspreche nicht internationalen Standards, schrieb Carter. Einige WahlexpertInnen befürchten allerdings weniger Manipulation im Vorfeld und am Wahltag, sondern danach, falls es insgesamt sehr knapp wird. Dann würde Bushs Wahlkampfstratege Karl Rove – «Mister Dirty Tricks» – ohne Rücksicht auf die Brüchigkeit demokratischer Institutionen erneut bis vors Oberste Gericht gehen, heisst es. Die DemokratInnen würden dieses Mal aber nicht so schnell klein beigeben. Gut möglich also, dass am Morgen des 3. November, vielleicht auch die Tage und Wochen danach, nicht bekannt sein wird, wie der künftige US-Präsident heisst.